Dienstag, 27. Dezember 2011

Postweihnachlicher Weihnachtspost

Kein Jahresrückblick – aber schon so etwas wie ein Résumé


Das Jahr ist fast rum.
Ich glaube, mit Fug und Recht behaupten zu können, dass mir keines zuvor eine derartige Achterbahnfahrt der Gefühle beschert hat! Und echt jetzt: Ich HASSE Achterbahnfahren! ;-P
Ähnlich turbulent war vielleicht allenfalls 2002, weil da meine Tochter auf diese Welt purzelte und damit in aller Unschuld mein Leben so derart grundlegend durcheinanderbrachte ... '02 nämlich wurde mir klar, dass ich meinem biologischen Geschlecht jetzt mehr als Genüge getan, den falschen Job und generell das falsche Leben hatte.

Ein Jahr später gab mir die beste Echse von allen (aus mittlerweile durchaus nachvollziehbaren Gründen) den Laufpaß und bürdete mir damit die alleinige Verantwortung für mein - und NUR mein! - Leben auf.
Weil das Brittalein allerdings selten das Naheliegende wählt, sondern lieber möglichst abseitige Nebenstrecken fährt ...

Aber egal! Zwanzig-elf! Das Jahr der oft schier unerträglichen Nagelproben:
Erst wurde mir bewußt, dass ich nicht zum Fußabtreter eines desorganisierten, chaotischen Mannes geschaffen bin ... Dann, dass mir das eigentlich geliebte Gehäuse mehr als eine Nummer zu groß und somit nichts als ein Klotz am Bein ist ... Schließlich, dass es absolut hohl und keineswegs zielführend (dämliche Worthülse eigentlich!) ist, meiner eh längst ungläubigen Umwelt weismachen zu wollen, ich sei ein Mann.

Da wurde plötzlich alles ganz klar. Und erschütternd einfach.
"Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen" - quasi.
Britta besuchte (wiederstrebend aber notgedrungen!) ein alteingesessenes Zweithaar-Fachgeschäft, entschied sich nach gefühlt 1000 Stunden für eine Perücke, die ihrem eigenen Haar (wenn dem nicht die der Arterhaltung geschuldete Östrogen-Abstinenz und damit einhergehende Testosteron-Dominanz unauffüllbare Breschen geschlagen hätte) am ehesten entsprach, und beschloß, ihre XY-chromosomale Grundausstattung fortan auch optisch konsequent Lügen zu strafen!

Tschaka! Wie einfach, wie simpel war das denn?
EINE Rundmail an Eltern und Lehrer. EINMAL einfach "Kopf zu und durch".
Sonst alles da: Mindset, Körpersprache, stimmiges, altersgemäßes Outfit, selbst die Sprechweise.
Als wenn alles immer schon so hätte sein sollen.
Als wenn DAS wirklich verwunderlich wäre!

Meine Therapeutin sah mich zum ersten Mal vor 30 Jahren (habe ich das schon erwähnt? Dass ich, als ich Anfang des Jahres mal wieder beim "Institut für Sexualforschung" vorbeischaute, eben DER Ärztin gegenübersaß, die mich schon Anfang der 80er in den Fingern hatte??). Und selbst DIE erkannte mich, als ich mir - nicht zuletzt durch ihr geduldiges Zureden - endlich im Sommer den längst fälligen Ruck gegeben hatte, zuerst nicht wieder. Selbst DIE fragte (und eindeutig mehr als fachlich interessiert), wie es denn sei, so derart abrupt den Wechsel zu vollziehen?

Was soll ich da sagen? Für MICH ist es ja gar keiner.

Für meine Umwelt natürlich schon.

Hehe - plötzlich Prinzessin Britta.

Nur eben nicht für mich.

Aber alle anderen haben es plötzlich mit einer unbekannten Person zu tun.
Freunde reagieren einfach erleichtert.
Bekannte erst verwirrt, dann aber mehr als freundlich.
Und Unbekannte verhalten sich schlicht ganz normal: Männer halten mir die Tür auf und lächeln mich freundlich an, Frauen zeigen deutlich, weil endlich Balz-ungetrübt, ob sie mich mögen oder eben nicht.

Ich bin seit mehr als 40 Jahren ... sagen wir: gender-aware.
Ich glaubte, wirklich viel über die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu wissen.
Und jetzt sitze ich hier und mag kaum glauben, wie anders die Welt von der anderen Seite des Zaunes aussschaut!

Für mich: Sooo schön! Sooo richtig!
Mehr als 50 Jahre dachte ich, ich müsse die Welt mit ... VIER ... Augen sehen.
Nein - das muss ich nicht! ZWEI reichen völlig!

Den Männern ihre ganz eigene Perspektive. Die für sie die Eine, die Richtige sein mag.
Ich denke, ich habe mich wirklich bemüht - aber ich KANN nicht so sehen.
Und ich WILL es eigentlich ja nicht einmal.
Jetzt sehe ich mit MEINEN Augen. Ohne Periskop, Scherenfernrohr oder andere Sehhilfen, mittels derer man aus sicherer Deckung heraus seine feindliche Umwelt belinsen kann.
Und was ich sehe, ist plötzlich MEINE, persönliche, sehr weiblich gefärbte Realität. Nicht immer und überall wirklich schöner - aber direkter, unmittelbarer und endlich ungebrochen. (Dieses Wortspiel widme ich allen OptikerInnen unserer Republik!)

Ich habe immer noch dieses Schlaganfallgefühl (womit ich tatsächliche Schlaganfälle ganz sicher nicht banalisieren will!) - alles fühlt sich an, als wenn ich es zum allerersten Mal täte, als wenn ich alles neu lernen müsse. Jede Begegnung ist komplett unkalkulierbar: werde ich erkannt oder nicht? Wie ist die Reaktion im ersten Fall, wie gehe ich mit dem zweiten (häufigeren) um? Ich lebe hier seit über zwölf Jahren - da kennt man eigentlich jede Verkäuferin, alle Tierärzte, Apotheker oder wen-auch-immer. ICH erkenne die natürlich auch weiterhin - aber die? Die meisten behandeln mich, als wäre ich frisch zugezogen, als sähen sie mich zum ersten Mal. Schräges Gefühl. Als ob ich mit Tarnkappe unterwegs wäre.

Definitiv unbefangener war ich in den ersten Wochen: Da nämlich war mir absolut scheißegeal, ob man auf 200 Meter erkennt, dass ich nicht so ganz "gängig" bin - ich wollte einfach nur endlich raus aus dieser ungeliebten Existenz, dieser viel zu engen, längst erkalteten Haut.
Als ich aber niemandem seltsam erschien, niemand mich an den Pranger stellte (zu meinem eigenen größten Erstaunen übrigens, weil ich selbst 1000 Sachen an mir hasse und für furchtbar auffällig halte), setzte erst einmal große Erleichterung ein.
Dann aber wollte ich mir genau diesen Zustand erhalten und fing an, mich selbst sehr genau zu beobachten und zu kontrollieren - jetzt bloß nicht DOCH noch auffallen! Sehr anstrengend, und so wirkte ich - weil ich nicht mehr wirklich unbeschwert war - da dann vermutlich ein wenig hölzern-unsicher.
Ein bisschen, wie in der James-Krüss'schen Parabel vom Tausendfüßler, dessen wundervoll eleganter - weil unbewußt-natürlicher! - Gang komplett durcheinandergerät, als ein gelehrter Käfer ergründen will, nach welchem komplizierten Algorithmus er seine unzähligen Füßchen setzt!
Seit kurzen stelle ich wieder so etwas wie leichte Enspannung fest - es bleibt ja alles, wie es sein soll, alle sind lieb zu mir, niemand will mich teeren und federn - und hoffe deshalb, dass sich irgendwann souveräne Routine einstellt.
Dauert aber wohl noch - wie sollte das auch anders sein??

Lustig auch die Auswirkungen des immer noch ungeliebten Androcurs: Ich bin ja quasi wieder einmal in der (wie vielten jetzt eigentlich??) Pubertät, und lege an signifikanter Stelle erstaunlich zu! Weil ich es aber natürlich noch nicht gewohnt bin, dort plötzlich so "auszukragen", tu ich mir ständig weh (echt sensitiv, all das schwellende Drüsengeschwurbel!) oder gerate in peinliche Situationen, wenn ich mich in einer Menschenmenge durchwuseln will.
Komisch der Anblick im Spiegel: Die von der Gravitation bislang nur wenig in Mitleidenschaft gezogenen Brüste einer 14-Jährigen an einem Körper, der natürlich nicht mehr so gaaanz dazu passen mag.
Seltsam frankensteinianisch. Wie frisch implantiert. Gewöhnungsbedürftig. Aber natürlich sehr, sehr cool, weil so langsam doch alles in Proportion gerät und ich darum vielleicht doch noch einer OP in dieser Region entgehen kann.

Was ich, nach den desaströsen ersten Erfahrungen mit dem Teufelszeug vor 15 Jahren, am meisten fürchtete, blieb aus: Ich bin emotional zwar deutlich "wackeliger" als zuvor, aber immer noch weit weg von den heftigen Depressionen, die mir die damalige, wie ich heute weiß, leichtfertige Überdosierung eingetragen hatte.
Das jetzt doch ein bisschen sehr dicht "am Wasser gebaut" sein ist allerdings schon ein bisschen lästig. Alex (der ja immer noch oben haust) findet das sehr lustig und erzählt aller Welt, dass man, um mich zum Heulen zu bringen, jetzt einfach nur "Bambiiii!" sagen müsse.
Stümmt leider ... :-/

Libidinös hat Androcur durchaus auch gewisse Effekte - allerdings macht es mich in der moderaten Dosis nicht mehr gleich zum geschlechtslosen Gemüse (eine damals schrecklich verstörende Erfahrung!), schaltet mich, die ich zugegebenermaßen nie besonders triebgesteuert war, aber quasi (quasi gehört quasi zu meinen Lieblingswörtern!) auf "Standby": Ich merke, da ist noch was ... Ich könnte es auch wecken ... MUSS das aber nicht, was angesichts der Tatsache, dass ich momentan singulär lebe und das auch noch eine Weile beizubehalten gedenke, wirklich praktisch ist!
Hehe - vielleicht ist es aber auch nur das Alter! :)=)

Meine Verwachsungen mit dem Viel-zu-großen-Haus zu lösen war schwierig. Ich habe hier zwölf lange Jahre sooo viel Herzblut vergossen und eigentlich mehr fürs Haus, denn für mich selbst gelebt, dass allein die Vorstellung, all das doch loslassen zu müssen, lange unerträglich war.
Plötzlich ging das dann doch, plötzlich fand sich eine Maklerin, der ich mein Gehäuse anvertrauen mochte, dann erschien - einem Silberstreif gleich! - das "Puppenhaus" als gangbare Perspektive - und nun scheinen sich nette Käufer gefunden zu haben. Ein Ende meiner Leiden ist also abzusehen.

Mich emotional von Alex freizustrampeln fiel hingegen erstaunlich leicht - mag sein, dass unsere Ehe nie wirklich den Schritt vom konzeptionell Verführerischen zu tiefem Gefühl getan hat. Uns verbindet wohl immer noch eine gewisse "freundliche Zugewandtheit", wir hören und sehen aber manchmal tagelang nichts voneinander, obwohl wir ja immer noch unter einem Dach leben.

Was mich nun endlich zu WEIHNACHTEN bringt! Das nämlich verbrachten wir diesmal natürlich getrennt: Ich traditionell mehr hinterm Herd, als am Tisch; mit Eltern, Echse und Göre - er in grandios-heroisch-maskuliner Einsamkeit bewaffnet mit Sixpack und schätzungsweise 1000 Zigaretten am Computer, damit beschäftigt, mit den anderen Nerd-Jungs (und angeblich zwei-drei Nerdinnen) War-Game-Schlachten zu schlagen. Laut eigener Aussage "Das schönste Weihnachten EVER!" (Jungs sind aber schon ein bisschen komisch, oder??). Seine Tochter hatte sich zum "anderen Vater" verzupft.
Keine Ahnung, was der gegessen hat - er lebt ja, wenn er keine Dumme findet, die ihn bekocht, vorwiegend von Käse, Müsli, Kaffee und Bier - wir hingegen hatten Gänsebrust (Niedertemperatur gegart!) mit Wirsing und Semmelknödeln! Lecker! Aber jetzt scheint meine Waage kaputt zu sein - ist sie aber jedes Jahr um diese Zeit ... :-/

Meine Mom half mir beim Kochen (vielleicht schnallt die ja doch noch irgendwann, dass es gar nicht sooo scheiße ist, eine Tochter zu haben!), Vater und Echse hüteten derweil das bereits bescherte und darob wie immer vor lauter Glück wie besoffene Kind - und meine schon eher jenseitige Katze, der ich hoch anrechne, dass sie die offenbar kurz bevorstehende Reise zu Freya auf nach dem Fest vertagt hat, vertilgte anschließend Unmengen übriggebliebene Edel-Gans.
Sicherlich nicht gut für die angeschlagenen Nieren, aber gewiss gut für ihre unsterbliche Seele - und ein angemessenes Festmahl für ein Mitgeschöpf, das ich mich längst schon nicht mehr "Tier" zu nennen traue, weil mir das so humanoid-überheblich erscheint für ein Wesen, dass ich länger kenne, als die meisten Menschen in meinem Leben ... und wirklich von ganzem Herzen zu lieben gelernt habe.

Auch meine Tochter liebt die greise Felidin natürlich sehr - die Katze ist aus ihrer Perspektive schließlich schon immer da, ist eine Konstante, quasi(!) ein Kontinuum, unverzichtbarer Bestandteil ihres gesamten bisherigen Lebens, ihrer Welt, Gefährtin ihrer Kindheit - und schon meine unbeholfenen Versuche, sie auf deren bald zu erwartendes Sterben vorzubereiten, stürzen sie in tiefe, herzzerreißende Trauer! Ohne die mittlerweile doch sehr abgemagert-ätherische kätzische Kaiserin wären das sehr, sehr traurige Weihnachten geworden.
Heiligabend war sie übrigens genau 20 Jahre, acht Monate und drei Wochen alt. Das ist wirklich sehr, sehr betagt für eine Katze. Aber wer weiß?? Die hat in den letzten Jahren des öfteren schon schlimmer geschwächelt - grünte dann aber immer wieder völlig überraschend durch! Dreifarbig halt - typische Glückskatze!
Wenn sie nun aber meint, dass es Zeit sei für die große Reise, werde ich sie gehen lassen - auch wenn mir ein Leben ohne dieses verschrobene, eigensinnige und doch so liebevolle Geschöpf so gar nicht vorstellbar scheint ...

Na - wird schon!

Euch (allen, die mich lesen, allen, die ich liebe) - und natürlich Silly-Little-Me-Myself wünsche ich jedenfalls einen sanften, unfallfreien Jahreswechsel und nur das Aller-Allerbeste für das vor uns liegende, frische, jungfräuliche Jahr! :-))





Sonntag, 18. Dezember 2011

Nur schnell zwischendurch ...

... zwei Songs, die zu integralen Bestandteilen meines Lebenserhaltungssystems wurden ...


http://youtu.be/c1O-r1q2cwI

Wunderschöner Text. Und ein Drive, der mich schon vom Hocker riß, als ich das Ding zum ersten Mal hörte. Mit dem Text habe ich mich zugegebenermaßen erst beschäftigt, als es Not tat ...
"Play it save, or play it cool..." - zu lange Ersteres, jetzt endlich Letzteres!

http://www.youtube.com/watch?v=HcNm01nUEWQ

Rap ist eigentlich so gar nicht meins. Dieser ganze Beef- und Diss- und Gangsta-Bullshit ... Darüber aber bin ich kurz vor der Trennung gestolpert - und YEAH! - das genau war's!
Rücken gerade - Fresse auf - aufstehen - loslegen - und SCHLUSS mit "Ja, Schatz - natürlich, Schatz"!

Dieses Lied war wie ein Tritt in den Arsch. Kam zupass.

Ich krieg heute noch das Heulen, wenn ich's höre. Sehr befreiend! :-))

"it's a funny way to make ends meet" - hehe ... :-)

.

Freitag, 16. Dezember 2011

Fremde Tochter ...

Werte, Worte, Namen und der ganze Summs

Ich bin ein Kind der 70er. Das erwähnte ich bereits.
Traumatisches Jahrzehnt: während Bürgerkinder sich die Haare wachsen ließen, Hippies in Love-&-Peace-Geschwurbel (und diversen Drogen) versanken, strickte ich an meinem Image, trainierte meinen Außenmann, meinen Avatar wie in einem zu der Zeit noch gar nicht erfundenen Computer-Game.

Und ich kultivierte meine Ängste, für die ja mein internalisiertes Kellerkind, meine sorgsam behütete und verborgene wahre Identität, zuständig war.

Meine Mutter sagt heute, ich wäre "zu schlau" gewesen, als dass sie hätte merken können, wie mir wirklich ums Herz war.

Schlau. Verschlagen, füchsisch ...

Was sie mir wirklich damit sagen will: Belogen fühlt sie sich. Betrogen fast. Nicht ins Vertrauen gezogen, ausgeschlossen von ihrem einzigen Kind, ihrem kostbaren "Sohn", der, da er ein "Einzelstück" bleiben sollte, fortan alle Erwartungen, alle Sehnsüchte auf leider viel zu schmalen Schultern wuppen sollte.

Mein leiblicher Vater ahnte früh, dass mit seinem "Stammhalter" etwas nicht stimmte, dass es schwer werden würde, mit einem Wesen, das er als "weibisch" empfand, dessen zeitgemäß lange Haare und enge Jeans ihn zutiefst anwiderten, irgendwie vor seinen alten Kameraden zu punkten.
Er gab sich zwar redlich Mühe, aus diesem ... Ding ... mit Härte und Erbarmungslosigkeit doch noch so etwas wie einen ganzen Kerl zu formen, brachte mir den Umgang mit Waffen bei (was ich tatsächlich lustig und spannend fand), zwang mich zu Dauerläufen und Liegestützen.

Es half nichts. Ich wußte um die Erwartungen, ich spürte die Zwänge, versuchte verzweifelt, ihnen zu entsprechen - und konnte doch nicht wirklich aus meiner Haut.

Was ich mir sehnlichst gewünscht hätte.

Ich wäre sooo gerne ein Junge gewesen ... ganz normal ... wie all die anderen halt.
Sooo gern hätte ich die Hoffnungen meiner Eltern erfüllt.

Ging aber nicht.

Und auch wenn ich mich gelegentlich damit zu trösten versuche, dass die damaligen Zeiten für Geschöpfe wie mich eben einfach scheiße waren - andere haben es anders gemacht, haben sich durchgebissen, haben volles Risiko gespielt und damit kommenden Generationen den Weg freigeschlagen - ich aber hatte einfach nicht den Arsch in der Hose, habe gekniffen und meine Energie auf die Schaffung eines absurden Homunkulus verschwendet, den ich nötig zu haben glaubte, um überleben zu können.

Der entwickelte ein schon fast unheimliches Eigenleben, die mühsam einstudierten Muster sorgen heute noch dafür, dass ich aufpassen muss, NICHT aufzustehen, wenn jemand den Raum betritt und mich begrüßt, NICHT Frauen die Tür aufzuhalten oder ihnen den Vortritt zu lassen.
Ich muss mich kontrollieren, nicht nur meinen Kopf, sondern auch meine KopfSTIMME zu benutzen, um nicht mit unerwartetem Bariton (und da habe ich echt für geübt!) Aufsehen zu erregen.

Nichts auf dieser Welt ist umsonst. Alles hat seinen Preis.

Meine recht erfolgreiche Anpassung, die relative Bequemlichkeit, in der ich meine Leben leben konnte, ging auf Kosten der Wahrhaftigkeit, der Einheit von Sein und Bewußtsein und nicht zu letzt zu Lasten derer, die mich lieben.

Ihr ahnt schon: Bei aller Comming-Out-Besoffenheit, bei allem Staunen über eine Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten einen Wandel hingelegt hat, der seines Gleichen sucht, bei allem Glück, bei dem überwältigenden Gefühl, ENDLICH das Richtige zu tun, mir entsprechend zu leben ...
Licht bedingt Schatten.

Wo alles glatt lief, was ich stets für unmöglich gehalten habe, wo ich Türen einrannte, die mir mehr als willig sperrangelweit geöffnet wurden - da, wo ich es am wenigsten erwartet hätte, wird mir nun die Rechnung präsentiert: der Mensch, der mir nach meinem Kind am nächsten ... der Mensch, mit dem ich (fast!) alles habe teilen können, der mir Halt war und Trost, wenn ich dachte, dass es nicht weitergehen könne ...

Na - meine Mutter halt.

DER bin ich nun fremd.

Ihr Sohn ... ihr SOHN!
Ist weg.
Wie gestorben.
Wie tot.

Statt seiner ist da plötzlich diese fremde Frau.
Die Frau, die meine Mutter in den Arm nimmt, die Vertrautheit einfordert, die meine Mutter nicht mehr empfinden kann.
Die erwartet, dass die Mutter alle Fehler entschuldigt, alle Eskapaden.
Alles mitmacht.
"Ja" sagt, und "Amen!".
Weil es doch immer so war!

Und DIE stößt mich weg.

Nein - das tut sie natürlich nicht.

Aber sie bittet sich Distanz aus.
Sagt, dass ich gut aussehe. Stimmig, Mich meinem Alter und Typus entsprechend zu kleiden und zu benehmen weiß. Jünger, denn als "Mann" wirke.
Die geht mit mir essen. Und einkaufen.
Sie SCHÄMT sich meiner nicht. Warum auch? Wo ich doch so stimmig und so unauffällig bin.

Aber da ist diese Distanz.
Diese Unvertrautheit.

NICHTS ist, wie es war.
Totally different deck of cards (warum suche ich in solchen Situationen eigentlich so oft Zuflucht zu Anglizismen??).

Mir tut das weh. Es bricht mir schier das Herz.

Aber kann ich überhaupt ermessen, was das in meiner MAMI anrichtet??
In der Frau, die einen SOHN geboren, gestillt, den gewindelt, gefüttert und aufgezogen hat??
Und die plötzlich (nicht, dass sie es nicht hätte ahnen KÖNNEN - der Indizien waren mehr als genug!) mit dieser fremden Tochter . schlimmer noch: dieser fremden FRAU! - dasitzt??

Zeit wird es brauchen. Und Durchhaltevermögen. Auf beiden Seiten.


Worte.

Männlich.
Weiblich.
Sohn.
Tochter.

Das sind nicht nur Buchstaben. Das sind Welten!
Frauen und Männer sind nicht gleich.
GleichWERTIG vielleicht!
Da mag die Piraten-Partei noch so bemüht die "Post-Gender-Gesellschaft" postulieren.
NIE werden sich die Geschlechter über einen Kamm scheren lassen.

Warum auch??

Wir sind WIR! Männer, Frauen ... oder halt irgendwas dazwischen. Aber immer klar definiert! Und nichts und niemandem sollten wir das Recht einräumen, über uns zu richten, uns zu beschneiden!

Je eher wir uns dessen bewußt werden, je eher wir sagen, wie es IST - wie es sein (für uns sein!) MUSS! - desto  geringer die Irritation, der Kummer unserer Liebsten ... desto überschaubarer das eigene - meist unnütze! - Martyrium, die selbstgebastelte Hölle, durch die wir müssen!

O Karma. Darf ich noch mal?
Weiser werde ich sein. Und tapferer.  :-/



Ach du liebe Güte ... nun hätte ich beinahe die Werte vergessen.
Die inneren sogar!

Seit ich nämlich wieder brav auf dem Pfad der Tugend (i.e. Leistungskatalog der KK) wandele ... eine Therapeutin habe (die Krankenkasse besteht darauf!) ... auch einen Endokrinologen! ...
Seitdem ist mir schmerzlich bewußt, dass ich - entgegen meiner bislang vehement vertretenen Meinung - meinen Testosteronspiegel nicht lediglich mit Estradiol und Progesteron in Schach zu halten im Stande sein werde ...

Kurz: Mein neuer Endo also bestand darauf, mir Androcur zu verordnen.
Ein Medikament, dass ich bislang gescheut habe, wie der Teufel das Weihwasser.
Und - O Wunder! - mit lediglich 5 mg Cyproteron (laut Endo eine eher homöophatische Dosis) stürzten, wie die Laboranalyse belegt, meine Testo-Werte vom unteren männlichen Mittelfeld in einen Bereich, der sogar für "kongruente Frauen" ungewöhnlich niedrig ist ...

Wunder der modernen Pharmazie: halbe Körbchengröße mehr!
Mit immerhin 52!
Und ich flenne seither (nicht, dass ich nicht vorher schon eine furchtbare Heulsuse gewesen wäre), als ob es auf der Welt keinen Wassermangel gäbe ...

Hallooo?? Das sind doch mal Werte??


Oh - und die Namen?
Kürzlich nannte mich der beste aller Väter mal wieder "Jan-Peter" (die Macht der Gewohnheit halt) ...
Meine Tochter (incl. erhobenem Zeigefinger): "Die heißt BRITTA!"

Na also - geht doch! :)=)


Gute Nacht, Deutschland! ;-P