Samstag, 25. Februar 2012

Keine Panik!

... und natürlich weiß ich IMMER, wo mein Handtuch ist!

Wahrscheinlich nicht ganz so wortreich diesmal, aber doch wenigstens ein kurzes Update ...
Es geht mir den Umständen entsprechend.
Und die sind eigentlich toll: Das Viel-zu-große-Haus ist mit Brief und Siegel verkauft (Übergabe ist am 30.3.), das Puppenhaus nimmt langsam Gestalt an und verspricht extrem cute, wenn auch sehr ... hmm ... platzsparend zu werden, Kind hat den Schulwechsel mit Bravour gemeistert. Und überhaupt.

Warum ich dann dennoch wieder einmal auf Tauchstation gehe, Kontakte schleifen lasse, kaum noch den Mund auf oder ein Auge zukriege?

Tja - weil all die tollen Umstände leider so ziemlich alle Ängste und Neuröslein triggern, die ich mit mir herumschleppe:

1. Ich muss UMZIEHEN! Schrecklich für jemanden, der eigentlich sesshaft wie eine Seepocke ist.
2. Ich muss DINGE wegwerfen! Die man vielleicht noch brauchen kann!!
3. Ich muss SACHEN regeln, planen, erledigen - kurz: ENTSCHEIDUNGEN treffen!

Das ist furchtbar.
Und natürlich auch furchtbar schön, weil ich mich doch im Grunde wie ein Schneekönig freue, hier endlich wegzukommen.
Öh - warum freuen sich Schneekönige eigentlich?? 

Egal. Jedenfalls habe ich momentan mit Panikattaken zu tun, gegen die leider nicht einmal das Handtuch hilft. Da werde ich jetzt wohl einfach noch ein paar Wochen sehr tapfer sein müssen. :-/



Dienstag, 27. Dezember 2011

Postweihnachlicher Weihnachtspost

Kein Jahresrückblick – aber schon so etwas wie ein Résumé


Das Jahr ist fast rum.
Ich glaube, mit Fug und Recht behaupten zu können, dass mir keines zuvor eine derartige Achterbahnfahrt der Gefühle beschert hat! Und echt jetzt: Ich HASSE Achterbahnfahren! ;-P
Ähnlich turbulent war vielleicht allenfalls 2002, weil da meine Tochter auf diese Welt purzelte und damit in aller Unschuld mein Leben so derart grundlegend durcheinanderbrachte ... '02 nämlich wurde mir klar, dass ich meinem biologischen Geschlecht jetzt mehr als Genüge getan, den falschen Job und generell das falsche Leben hatte.

Ein Jahr später gab mir die beste Echse von allen (aus mittlerweile durchaus nachvollziehbaren Gründen) den Laufpaß und bürdete mir damit die alleinige Verantwortung für mein - und NUR mein! - Leben auf.
Weil das Brittalein allerdings selten das Naheliegende wählt, sondern lieber möglichst abseitige Nebenstrecken fährt ...

Aber egal! Zwanzig-elf! Das Jahr der oft schier unerträglichen Nagelproben:
Erst wurde mir bewußt, dass ich nicht zum Fußabtreter eines desorganisierten, chaotischen Mannes geschaffen bin ... Dann, dass mir das eigentlich geliebte Gehäuse mehr als eine Nummer zu groß und somit nichts als ein Klotz am Bein ist ... Schließlich, dass es absolut hohl und keineswegs zielführend (dämliche Worthülse eigentlich!) ist, meiner eh längst ungläubigen Umwelt weismachen zu wollen, ich sei ein Mann.

Da wurde plötzlich alles ganz klar. Und erschütternd einfach.
"Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen" - quasi.
Britta besuchte (wiederstrebend aber notgedrungen!) ein alteingesessenes Zweithaar-Fachgeschäft, entschied sich nach gefühlt 1000 Stunden für eine Perücke, die ihrem eigenen Haar (wenn dem nicht die der Arterhaltung geschuldete Östrogen-Abstinenz und damit einhergehende Testosteron-Dominanz unauffüllbare Breschen geschlagen hätte) am ehesten entsprach, und beschloß, ihre XY-chromosomale Grundausstattung fortan auch optisch konsequent Lügen zu strafen!

Tschaka! Wie einfach, wie simpel war das denn?
EINE Rundmail an Eltern und Lehrer. EINMAL einfach "Kopf zu und durch".
Sonst alles da: Mindset, Körpersprache, stimmiges, altersgemäßes Outfit, selbst die Sprechweise.
Als wenn alles immer schon so hätte sein sollen.
Als wenn DAS wirklich verwunderlich wäre!

Meine Therapeutin sah mich zum ersten Mal vor 30 Jahren (habe ich das schon erwähnt? Dass ich, als ich Anfang des Jahres mal wieder beim "Institut für Sexualforschung" vorbeischaute, eben DER Ärztin gegenübersaß, die mich schon Anfang der 80er in den Fingern hatte??). Und selbst DIE erkannte mich, als ich mir - nicht zuletzt durch ihr geduldiges Zureden - endlich im Sommer den längst fälligen Ruck gegeben hatte, zuerst nicht wieder. Selbst DIE fragte (und eindeutig mehr als fachlich interessiert), wie es denn sei, so derart abrupt den Wechsel zu vollziehen?

Was soll ich da sagen? Für MICH ist es ja gar keiner.

Für meine Umwelt natürlich schon.

Hehe - plötzlich Prinzessin Britta.

Nur eben nicht für mich.

Aber alle anderen haben es plötzlich mit einer unbekannten Person zu tun.
Freunde reagieren einfach erleichtert.
Bekannte erst verwirrt, dann aber mehr als freundlich.
Und Unbekannte verhalten sich schlicht ganz normal: Männer halten mir die Tür auf und lächeln mich freundlich an, Frauen zeigen deutlich, weil endlich Balz-ungetrübt, ob sie mich mögen oder eben nicht.

Ich bin seit mehr als 40 Jahren ... sagen wir: gender-aware.
Ich glaubte, wirklich viel über die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu wissen.
Und jetzt sitze ich hier und mag kaum glauben, wie anders die Welt von der anderen Seite des Zaunes aussschaut!

Für mich: Sooo schön! Sooo richtig!
Mehr als 50 Jahre dachte ich, ich müsse die Welt mit ... VIER ... Augen sehen.
Nein - das muss ich nicht! ZWEI reichen völlig!

Den Männern ihre ganz eigene Perspektive. Die für sie die Eine, die Richtige sein mag.
Ich denke, ich habe mich wirklich bemüht - aber ich KANN nicht so sehen.
Und ich WILL es eigentlich ja nicht einmal.
Jetzt sehe ich mit MEINEN Augen. Ohne Periskop, Scherenfernrohr oder andere Sehhilfen, mittels derer man aus sicherer Deckung heraus seine feindliche Umwelt belinsen kann.
Und was ich sehe, ist plötzlich MEINE, persönliche, sehr weiblich gefärbte Realität. Nicht immer und überall wirklich schöner - aber direkter, unmittelbarer und endlich ungebrochen. (Dieses Wortspiel widme ich allen OptikerInnen unserer Republik!)

Ich habe immer noch dieses Schlaganfallgefühl (womit ich tatsächliche Schlaganfälle ganz sicher nicht banalisieren will!) - alles fühlt sich an, als wenn ich es zum allerersten Mal täte, als wenn ich alles neu lernen müsse. Jede Begegnung ist komplett unkalkulierbar: werde ich erkannt oder nicht? Wie ist die Reaktion im ersten Fall, wie gehe ich mit dem zweiten (häufigeren) um? Ich lebe hier seit über zwölf Jahren - da kennt man eigentlich jede Verkäuferin, alle Tierärzte, Apotheker oder wen-auch-immer. ICH erkenne die natürlich auch weiterhin - aber die? Die meisten behandeln mich, als wäre ich frisch zugezogen, als sähen sie mich zum ersten Mal. Schräges Gefühl. Als ob ich mit Tarnkappe unterwegs wäre.

Definitiv unbefangener war ich in den ersten Wochen: Da nämlich war mir absolut scheißegeal, ob man auf 200 Meter erkennt, dass ich nicht so ganz "gängig" bin - ich wollte einfach nur endlich raus aus dieser ungeliebten Existenz, dieser viel zu engen, längst erkalteten Haut.
Als ich aber niemandem seltsam erschien, niemand mich an den Pranger stellte (zu meinem eigenen größten Erstaunen übrigens, weil ich selbst 1000 Sachen an mir hasse und für furchtbar auffällig halte), setzte erst einmal große Erleichterung ein.
Dann aber wollte ich mir genau diesen Zustand erhalten und fing an, mich selbst sehr genau zu beobachten und zu kontrollieren - jetzt bloß nicht DOCH noch auffallen! Sehr anstrengend, und so wirkte ich - weil ich nicht mehr wirklich unbeschwert war - da dann vermutlich ein wenig hölzern-unsicher.
Ein bisschen, wie in der James-Krüss'schen Parabel vom Tausendfüßler, dessen wundervoll eleganter - weil unbewußt-natürlicher! - Gang komplett durcheinandergerät, als ein gelehrter Käfer ergründen will, nach welchem komplizierten Algorithmus er seine unzähligen Füßchen setzt!
Seit kurzen stelle ich wieder so etwas wie leichte Enspannung fest - es bleibt ja alles, wie es sein soll, alle sind lieb zu mir, niemand will mich teeren und federn - und hoffe deshalb, dass sich irgendwann souveräne Routine einstellt.
Dauert aber wohl noch - wie sollte das auch anders sein??

Lustig auch die Auswirkungen des immer noch ungeliebten Androcurs: Ich bin ja quasi wieder einmal in der (wie vielten jetzt eigentlich??) Pubertät, und lege an signifikanter Stelle erstaunlich zu! Weil ich es aber natürlich noch nicht gewohnt bin, dort plötzlich so "auszukragen", tu ich mir ständig weh (echt sensitiv, all das schwellende Drüsengeschwurbel!) oder gerate in peinliche Situationen, wenn ich mich in einer Menschenmenge durchwuseln will.
Komisch der Anblick im Spiegel: Die von der Gravitation bislang nur wenig in Mitleidenschaft gezogenen Brüste einer 14-Jährigen an einem Körper, der natürlich nicht mehr so gaaanz dazu passen mag.
Seltsam frankensteinianisch. Wie frisch implantiert. Gewöhnungsbedürftig. Aber natürlich sehr, sehr cool, weil so langsam doch alles in Proportion gerät und ich darum vielleicht doch noch einer OP in dieser Region entgehen kann.

Was ich, nach den desaströsen ersten Erfahrungen mit dem Teufelszeug vor 15 Jahren, am meisten fürchtete, blieb aus: Ich bin emotional zwar deutlich "wackeliger" als zuvor, aber immer noch weit weg von den heftigen Depressionen, die mir die damalige, wie ich heute weiß, leichtfertige Überdosierung eingetragen hatte.
Das jetzt doch ein bisschen sehr dicht "am Wasser gebaut" sein ist allerdings schon ein bisschen lästig. Alex (der ja immer noch oben haust) findet das sehr lustig und erzählt aller Welt, dass man, um mich zum Heulen zu bringen, jetzt einfach nur "Bambiiii!" sagen müsse.
Stümmt leider ... :-/

Libidinös hat Androcur durchaus auch gewisse Effekte - allerdings macht es mich in der moderaten Dosis nicht mehr gleich zum geschlechtslosen Gemüse (eine damals schrecklich verstörende Erfahrung!), schaltet mich, die ich zugegebenermaßen nie besonders triebgesteuert war, aber quasi (quasi gehört quasi zu meinen Lieblingswörtern!) auf "Standby": Ich merke, da ist noch was ... Ich könnte es auch wecken ... MUSS das aber nicht, was angesichts der Tatsache, dass ich momentan singulär lebe und das auch noch eine Weile beizubehalten gedenke, wirklich praktisch ist!
Hehe - vielleicht ist es aber auch nur das Alter! :)=)

Meine Verwachsungen mit dem Viel-zu-großen-Haus zu lösen war schwierig. Ich habe hier zwölf lange Jahre sooo viel Herzblut vergossen und eigentlich mehr fürs Haus, denn für mich selbst gelebt, dass allein die Vorstellung, all das doch loslassen zu müssen, lange unerträglich war.
Plötzlich ging das dann doch, plötzlich fand sich eine Maklerin, der ich mein Gehäuse anvertrauen mochte, dann erschien - einem Silberstreif gleich! - das "Puppenhaus" als gangbare Perspektive - und nun scheinen sich nette Käufer gefunden zu haben. Ein Ende meiner Leiden ist also abzusehen.

Mich emotional von Alex freizustrampeln fiel hingegen erstaunlich leicht - mag sein, dass unsere Ehe nie wirklich den Schritt vom konzeptionell Verführerischen zu tiefem Gefühl getan hat. Uns verbindet wohl immer noch eine gewisse "freundliche Zugewandtheit", wir hören und sehen aber manchmal tagelang nichts voneinander, obwohl wir ja immer noch unter einem Dach leben.

Was mich nun endlich zu WEIHNACHTEN bringt! Das nämlich verbrachten wir diesmal natürlich getrennt: Ich traditionell mehr hinterm Herd, als am Tisch; mit Eltern, Echse und Göre - er in grandios-heroisch-maskuliner Einsamkeit bewaffnet mit Sixpack und schätzungsweise 1000 Zigaretten am Computer, damit beschäftigt, mit den anderen Nerd-Jungs (und angeblich zwei-drei Nerdinnen) War-Game-Schlachten zu schlagen. Laut eigener Aussage "Das schönste Weihnachten EVER!" (Jungs sind aber schon ein bisschen komisch, oder??). Seine Tochter hatte sich zum "anderen Vater" verzupft.
Keine Ahnung, was der gegessen hat - er lebt ja, wenn er keine Dumme findet, die ihn bekocht, vorwiegend von Käse, Müsli, Kaffee und Bier - wir hingegen hatten Gänsebrust (Niedertemperatur gegart!) mit Wirsing und Semmelknödeln! Lecker! Aber jetzt scheint meine Waage kaputt zu sein - ist sie aber jedes Jahr um diese Zeit ... :-/

Meine Mom half mir beim Kochen (vielleicht schnallt die ja doch noch irgendwann, dass es gar nicht sooo scheiße ist, eine Tochter zu haben!), Vater und Echse hüteten derweil das bereits bescherte und darob wie immer vor lauter Glück wie besoffene Kind - und meine schon eher jenseitige Katze, der ich hoch anrechne, dass sie die offenbar kurz bevorstehende Reise zu Freya auf nach dem Fest vertagt hat, vertilgte anschließend Unmengen übriggebliebene Edel-Gans.
Sicherlich nicht gut für die angeschlagenen Nieren, aber gewiss gut für ihre unsterbliche Seele - und ein angemessenes Festmahl für ein Mitgeschöpf, das ich mich längst schon nicht mehr "Tier" zu nennen traue, weil mir das so humanoid-überheblich erscheint für ein Wesen, dass ich länger kenne, als die meisten Menschen in meinem Leben ... und wirklich von ganzem Herzen zu lieben gelernt habe.

Auch meine Tochter liebt die greise Felidin natürlich sehr - die Katze ist aus ihrer Perspektive schließlich schon immer da, ist eine Konstante, quasi(!) ein Kontinuum, unverzichtbarer Bestandteil ihres gesamten bisherigen Lebens, ihrer Welt, Gefährtin ihrer Kindheit - und schon meine unbeholfenen Versuche, sie auf deren bald zu erwartendes Sterben vorzubereiten, stürzen sie in tiefe, herzzerreißende Trauer! Ohne die mittlerweile doch sehr abgemagert-ätherische kätzische Kaiserin wären das sehr, sehr traurige Weihnachten geworden.
Heiligabend war sie übrigens genau 20 Jahre, acht Monate und drei Wochen alt. Das ist wirklich sehr, sehr betagt für eine Katze. Aber wer weiß?? Die hat in den letzten Jahren des öfteren schon schlimmer geschwächelt - grünte dann aber immer wieder völlig überraschend durch! Dreifarbig halt - typische Glückskatze!
Wenn sie nun aber meint, dass es Zeit sei für die große Reise, werde ich sie gehen lassen - auch wenn mir ein Leben ohne dieses verschrobene, eigensinnige und doch so liebevolle Geschöpf so gar nicht vorstellbar scheint ...

Na - wird schon!

Euch (allen, die mich lesen, allen, die ich liebe) - und natürlich Silly-Little-Me-Myself wünsche ich jedenfalls einen sanften, unfallfreien Jahreswechsel und nur das Aller-Allerbeste für das vor uns liegende, frische, jungfräuliche Jahr! :-))





Sonntag, 18. Dezember 2011

Nur schnell zwischendurch ...

... zwei Songs, die zu integralen Bestandteilen meines Lebenserhaltungssystems wurden ...


http://youtu.be/c1O-r1q2cwI

Wunderschöner Text. Und ein Drive, der mich schon vom Hocker riß, als ich das Ding zum ersten Mal hörte. Mit dem Text habe ich mich zugegebenermaßen erst beschäftigt, als es Not tat ...
"Play it save, or play it cool..." - zu lange Ersteres, jetzt endlich Letzteres!

http://www.youtube.com/watch?v=HcNm01nUEWQ

Rap ist eigentlich so gar nicht meins. Dieser ganze Beef- und Diss- und Gangsta-Bullshit ... Darüber aber bin ich kurz vor der Trennung gestolpert - und YEAH! - das genau war's!
Rücken gerade - Fresse auf - aufstehen - loslegen - und SCHLUSS mit "Ja, Schatz - natürlich, Schatz"!

Dieses Lied war wie ein Tritt in den Arsch. Kam zupass.

Ich krieg heute noch das Heulen, wenn ich's höre. Sehr befreiend! :-))

"it's a funny way to make ends meet" - hehe ... :-)

.

Freitag, 16. Dezember 2011

Fremde Tochter ...

Werte, Worte, Namen und der ganze Summs

Ich bin ein Kind der 70er. Das erwähnte ich bereits.
Traumatisches Jahrzehnt: während Bürgerkinder sich die Haare wachsen ließen, Hippies in Love-&-Peace-Geschwurbel (und diversen Drogen) versanken, strickte ich an meinem Image, trainierte meinen Außenmann, meinen Avatar wie in einem zu der Zeit noch gar nicht erfundenen Computer-Game.

Und ich kultivierte meine Ängste, für die ja mein internalisiertes Kellerkind, meine sorgsam behütete und verborgene wahre Identität, zuständig war.

Meine Mutter sagt heute, ich wäre "zu schlau" gewesen, als dass sie hätte merken können, wie mir wirklich ums Herz war.

Schlau. Verschlagen, füchsisch ...

Was sie mir wirklich damit sagen will: Belogen fühlt sie sich. Betrogen fast. Nicht ins Vertrauen gezogen, ausgeschlossen von ihrem einzigen Kind, ihrem kostbaren "Sohn", der, da er ein "Einzelstück" bleiben sollte, fortan alle Erwartungen, alle Sehnsüchte auf leider viel zu schmalen Schultern wuppen sollte.

Mein leiblicher Vater ahnte früh, dass mit seinem "Stammhalter" etwas nicht stimmte, dass es schwer werden würde, mit einem Wesen, das er als "weibisch" empfand, dessen zeitgemäß lange Haare und enge Jeans ihn zutiefst anwiderten, irgendwie vor seinen alten Kameraden zu punkten.
Er gab sich zwar redlich Mühe, aus diesem ... Ding ... mit Härte und Erbarmungslosigkeit doch noch so etwas wie einen ganzen Kerl zu formen, brachte mir den Umgang mit Waffen bei (was ich tatsächlich lustig und spannend fand), zwang mich zu Dauerläufen und Liegestützen.

Es half nichts. Ich wußte um die Erwartungen, ich spürte die Zwänge, versuchte verzweifelt, ihnen zu entsprechen - und konnte doch nicht wirklich aus meiner Haut.

Was ich mir sehnlichst gewünscht hätte.

Ich wäre sooo gerne ein Junge gewesen ... ganz normal ... wie all die anderen halt.
Sooo gern hätte ich die Hoffnungen meiner Eltern erfüllt.

Ging aber nicht.

Und auch wenn ich mich gelegentlich damit zu trösten versuche, dass die damaligen Zeiten für Geschöpfe wie mich eben einfach scheiße waren - andere haben es anders gemacht, haben sich durchgebissen, haben volles Risiko gespielt und damit kommenden Generationen den Weg freigeschlagen - ich aber hatte einfach nicht den Arsch in der Hose, habe gekniffen und meine Energie auf die Schaffung eines absurden Homunkulus verschwendet, den ich nötig zu haben glaubte, um überleben zu können.

Der entwickelte ein schon fast unheimliches Eigenleben, die mühsam einstudierten Muster sorgen heute noch dafür, dass ich aufpassen muss, NICHT aufzustehen, wenn jemand den Raum betritt und mich begrüßt, NICHT Frauen die Tür aufzuhalten oder ihnen den Vortritt zu lassen.
Ich muss mich kontrollieren, nicht nur meinen Kopf, sondern auch meine KopfSTIMME zu benutzen, um nicht mit unerwartetem Bariton (und da habe ich echt für geübt!) Aufsehen zu erregen.

Nichts auf dieser Welt ist umsonst. Alles hat seinen Preis.

Meine recht erfolgreiche Anpassung, die relative Bequemlichkeit, in der ich meine Leben leben konnte, ging auf Kosten der Wahrhaftigkeit, der Einheit von Sein und Bewußtsein und nicht zu letzt zu Lasten derer, die mich lieben.

Ihr ahnt schon: Bei aller Comming-Out-Besoffenheit, bei allem Staunen über eine Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten einen Wandel hingelegt hat, der seines Gleichen sucht, bei allem Glück, bei dem überwältigenden Gefühl, ENDLICH das Richtige zu tun, mir entsprechend zu leben ...
Licht bedingt Schatten.

Wo alles glatt lief, was ich stets für unmöglich gehalten habe, wo ich Türen einrannte, die mir mehr als willig sperrangelweit geöffnet wurden - da, wo ich es am wenigsten erwartet hätte, wird mir nun die Rechnung präsentiert: der Mensch, der mir nach meinem Kind am nächsten ... der Mensch, mit dem ich (fast!) alles habe teilen können, der mir Halt war und Trost, wenn ich dachte, dass es nicht weitergehen könne ...

Na - meine Mutter halt.

DER bin ich nun fremd.

Ihr Sohn ... ihr SOHN!
Ist weg.
Wie gestorben.
Wie tot.

Statt seiner ist da plötzlich diese fremde Frau.
Die Frau, die meine Mutter in den Arm nimmt, die Vertrautheit einfordert, die meine Mutter nicht mehr empfinden kann.
Die erwartet, dass die Mutter alle Fehler entschuldigt, alle Eskapaden.
Alles mitmacht.
"Ja" sagt, und "Amen!".
Weil es doch immer so war!

Und DIE stößt mich weg.

Nein - das tut sie natürlich nicht.

Aber sie bittet sich Distanz aus.
Sagt, dass ich gut aussehe. Stimmig, Mich meinem Alter und Typus entsprechend zu kleiden und zu benehmen weiß. Jünger, denn als "Mann" wirke.
Die geht mit mir essen. Und einkaufen.
Sie SCHÄMT sich meiner nicht. Warum auch? Wo ich doch so stimmig und so unauffällig bin.

Aber da ist diese Distanz.
Diese Unvertrautheit.

NICHTS ist, wie es war.
Totally different deck of cards (warum suche ich in solchen Situationen eigentlich so oft Zuflucht zu Anglizismen??).

Mir tut das weh. Es bricht mir schier das Herz.

Aber kann ich überhaupt ermessen, was das in meiner MAMI anrichtet??
In der Frau, die einen SOHN geboren, gestillt, den gewindelt, gefüttert und aufgezogen hat??
Und die plötzlich (nicht, dass sie es nicht hätte ahnen KÖNNEN - der Indizien waren mehr als genug!) mit dieser fremden Tochter . schlimmer noch: dieser fremden FRAU! - dasitzt??

Zeit wird es brauchen. Und Durchhaltevermögen. Auf beiden Seiten.


Worte.

Männlich.
Weiblich.
Sohn.
Tochter.

Das sind nicht nur Buchstaben. Das sind Welten!
Frauen und Männer sind nicht gleich.
GleichWERTIG vielleicht!
Da mag die Piraten-Partei noch so bemüht die "Post-Gender-Gesellschaft" postulieren.
NIE werden sich die Geschlechter über einen Kamm scheren lassen.

Warum auch??

Wir sind WIR! Männer, Frauen ... oder halt irgendwas dazwischen. Aber immer klar definiert! Und nichts und niemandem sollten wir das Recht einräumen, über uns zu richten, uns zu beschneiden!

Je eher wir uns dessen bewußt werden, je eher wir sagen, wie es IST - wie es sein (für uns sein!) MUSS! - desto  geringer die Irritation, der Kummer unserer Liebsten ... desto überschaubarer das eigene - meist unnütze! - Martyrium, die selbstgebastelte Hölle, durch die wir müssen!

O Karma. Darf ich noch mal?
Weiser werde ich sein. Und tapferer.  :-/



Ach du liebe Güte ... nun hätte ich beinahe die Werte vergessen.
Die inneren sogar!

Seit ich nämlich wieder brav auf dem Pfad der Tugend (i.e. Leistungskatalog der KK) wandele ... eine Therapeutin habe (die Krankenkasse besteht darauf!) ... auch einen Endokrinologen! ...
Seitdem ist mir schmerzlich bewußt, dass ich - entgegen meiner bislang vehement vertretenen Meinung - meinen Testosteronspiegel nicht lediglich mit Estradiol und Progesteron in Schach zu halten im Stande sein werde ...

Kurz: Mein neuer Endo also bestand darauf, mir Androcur zu verordnen.
Ein Medikament, dass ich bislang gescheut habe, wie der Teufel das Weihwasser.
Und - O Wunder! - mit lediglich 5 mg Cyproteron (laut Endo eine eher homöophatische Dosis) stürzten, wie die Laboranalyse belegt, meine Testo-Werte vom unteren männlichen Mittelfeld in einen Bereich, der sogar für "kongruente Frauen" ungewöhnlich niedrig ist ...

Wunder der modernen Pharmazie: halbe Körbchengröße mehr!
Mit immerhin 52!
Und ich flenne seither (nicht, dass ich nicht vorher schon eine furchtbare Heulsuse gewesen wäre), als ob es auf der Welt keinen Wassermangel gäbe ...

Hallooo?? Das sind doch mal Werte??


Oh - und die Namen?
Kürzlich nannte mich der beste aller Väter mal wieder "Jan-Peter" (die Macht der Gewohnheit halt) ...
Meine Tochter (incl. erhobenem Zeigefinger): "Die heißt BRITTA!"

Na also - geht doch! :)=)


Gute Nacht, Deutschland! ;-P



Samstag, 26. November 2011

Von gordischen Knoten,
alexandrinischen Schwertern ...

oder wie man KLAR wird - und kommt!


Ich bin ich.
Das war ich immer ...
Das bin ich stets ...

Aber - O Wunder! - ich werde tatsächlich immer noch icher!
Das ist etwas, was ich seit Jahren empfinde. Und immer noch erfüllt es mich mit tiefem Staunen, dass ein sooo altes Pferd noch sooo tolle neue Kunststücke zu lernen im Stande ...

Aber von Anfang an:

Ich habe etwa 50 Jahre praktisch zwei Leben geführt.
Das mag wohl durchaus seinen Reiz haben, weil es ja bedeutet, auf beiden Seiten des Zauns saftige Kräutlein zu weiden ... Es erfordert aber auch einen erheblichen Energieaufwand.

"Second Life" mag virtuell funktionieren (selbst DA nicht wirklich - aber davon später) -
In Realitas ist es einfach nur mühsam: Ich bin 52. Ich sehe (sagt man) aus wie 42 (erstaunlich eigentlich ...), fühle mich hingegen oft wie 82, weil mich die - gefühlt! - doppelte Last der Jahre drückt.
Ich habe diesen extensiven Raubbau an meinen Resourcen mit Angstattacken und Depressionen bezahlt, weil wir halt für EIN Leben konzipiert sind - und nicht für das entschiedene "Jein!", mit dem ich all die relevanten Fragen des Lebens zu beantworten pflegte.

Seit spätestens Anfang der 80er WEISS ich, dass ich nicht umhin kommen werde, meiner emotionalen (und angeborenen) Gemengelage Rechnung zu tragen - dennoch bedurfte es erst des eindeutigen Bedürfnisses meines KINDES, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

Meine Tochter verbringt viel Zeit mit der drei Jahre älteren Nachbarstochter, die, weil sie unangemeldet durch unseren Garten streunt, gar nicht anders konnte, als zu realisieren, dass mit Finis Papi nicht ALLES mit rechten Dingen zugeht.
Meine Tochter beantwortete ihre Fragen wahrheitsgemäß (wir haben sie zu schon fast rücksichtsloser Ehrlichkeit erzogen!).
Die Nachbarstochter nahm das einfach so hin, betonte aber, dass sie mich eigentlich nicht besonders merkwürdig, sondern einfach "nett" fände (ist "nett" nun die kleine Schwester von "Scheiße", oder nicht??).
Gefion hingegen trug jetzt Sorge, dass ihre Freundin ihren Eltern davon berichten möge - und fortan nicht mehr mit ihr spielen dürfe.

Ufff ...

Sie bat mich also, doch gelegentlich mit den Eltern ihrer Freundin zu sprechen, um mich zu erklären ...
Dazu muss man wissen, dass meine Tochter eigentlich seit Anbeginn weiß, dass ihr Papi "anders" ist ... und das - nach eigener Aussage - nicht wirklich seltsam findet.
Ich sehe mich übrigens nach wie vor genauso: Ich bin Nicht-die-Mama - die Mami-Stelle ist nämlich schon besetzt - ich bin "PAPI" - und stolz darauf!

Das war mir ein Weckruf.
Da habe ich zum ersten Mal begriffen, dass meine Uneindeutigkeit, mein unentschlossenes Herumgerudere, nicht nur mich, sondern  - eventuell sogar stärker! -, meine Nächsten, Liebsten in unhaltbare Konflikte stürzt!

Ich habe - getragen von den Schwingen knackfrischer Erkenntniss - nicht nur mit den Nachbarn gesprochen (sehr einfache, bodenständige Leute übrigens, die eher angefressen waren, weil ich ihnen offenbar so wenig Tolleranz zugetraut habe) - ich habe außerdem eine Rundmail an alle Eltern und Lehrkräfte von Gefions Schule verfaßt. Und das kurz vor dem Elternabend.

So! Britta hat fertig!
"Jan" ist nicht tot (der arme Bengel hatte es schwer genug!) - ist aber nur noch Teil meiner Geschichte.
Ich halte ihn in Ehren.

Ich geh nicht mehr als "Mann" auf die Straße.
Ich hatte es längst so satt.
Ich war das nie.
Ich bin das nicht.
Und - bei allem redlichen Bemühen - ich WILL (und wollte) das gar nicht werden!

Was ich WOLLTE?

Ich wollte ein Kind ZEUGEN, weil ich es nach gegenwärtigem Stand der Technik weder empfangen, noch gebären kann.

Been there - done that!

Meine Tochter ist nun neun - und smart genug, sich ihre eigene Meinung zu bilden.
Mein schrecklicher leiblicher Vater (das zweite anscheinend unumschiffbare Hinderniss) ist seit nunmehr 12 Jahren "tiefergelegt" ... Meine Mom und mein (Stief)Vater (der ziemlich cool und ein wirklicher Vater für mich ist!), sind zwar nicht sonderlich erbaut, aber durchaus Willens, sich mit ihrer seltsamen "Neo-Tochter" zu arrangieren.

WAS braucht es noch??

Nix - oder??

Außer plötzlich haufenweise alltagskompatiblem Kram, den das Brittalein bislang sträflich/leichtfertig vernachlässigt hat: Winterstiefel z.B., um mit Tochter durch Matsch und Schnee zu stapfen ... Outfits, die supermarkt- und von-der-Schule-abholen geeignet sind.
Tarnkappen ... Unsichtbarkeitsaccessoires ... go with the flow ... trag, was alle anderen tragen ...

Und wißt Ihr was?? Es geht!
Und es ist sooo cool!
An der Supermarktkasse werde ich belehrt, dass es "verboten" sei, mit der "EC-Karte meines MANNES" zu bezahlen!
Was exzessive Heiterkeitsausbrüche meiner Tochter zur Folge hat.
Das ist lästig (allerdings auch ein wenig lustig). Und ich nehme es als Kompliment.
Weil ich FUNKTIONIERE! Weil ich sooo sehr Frau BIN!
Könnt ihr euch vorstellen, dass ich fast das Flennen gekriegt hätte??

Könnt ihr nachvollziehen, dass ich, als der Autoschrauber, der mich seit -zig Jahren kennt, mich nach all der Zeit (nachdem ich ich auch da als mein wahres Selbst einen Kleinwagen gekauft hatte) fragte, da ich mich beschwerte, dass die Hupe nicht ginge, ob ich vielleicht den Schalter nicht gefunden hätte (Hallooo, doofer Kerl?? Ich hab das Fucking-Manual dieses blöden Autos durchaus gelesen!!), nicht "Rot" sah - sondern mich im Gegenteil darin bestärkt fühlte, dass ich extrem überzeugend wirke??

Frausein ist manchmal (oder meist??) nicht lustig. Manchmal sogar richtig scheiße.
Und Frauen sind NICHT die besseren Menschen.
Aber ich BIN es nun mal... Und da ist leider echt scheißegal, wie mein Body (der mitlerweile unter östrogenallem Dauerfeuer endlich auch ein Einsehen zeigt - Braves Körperlein!) daherkommt ...
"Et küt, wie et küt!" sollen Rheinländer in so einem Fall angeblich sagen.
Und so ist es ...

ICH ... bin ICH. -
Ich bin BRITTA!
Und das ist GUT so!! 

(normalerweise falle ich lieber tot um, als mich mit meiner doofen Brille ablichten zu lassen - Agamen indessen haben so eklig klebrige Zungen ... und betasten damit alles, was ihnen interessant erscheint. Augen z.B. ...
Dann doch lieber Brillen-Britta *seufz*)






Oh! Jetzt bin ich den Bezug zu den "alexandrinischen Schwertern" schuldig geblieben ...

Also: Mir erschien meine Verhaftetheit in diesem bigeschlechtlichem Paralelluniversum immer als praktisch schicksalshaft... eine unentwirrbare Verstrubbelung meines Seins ... ein gordischer Knoten quasi...
Erst das Zusammentreffen mit meiner ganz persönlichen Nemesis... einem Menschen, der zum MANN wird ... Das auch noch lustig  findet ... Und mich so meiner ganz persönlichen Nagelprobe unterzieht ... konnte mich so sehr mit mir selbst konfrontieren.

Nolens volens hat so ein Mensch, der noch ein wenig Zeit brauchen wird, um sich seines Platzes, seiner Rolle und seiner Verantwortung in dieser Welt bewußt zu werden - Homo Ludens par excellance - mir den Tritt in den Hintern beschert, der nötig war, um zu erkennen, was wahrhaft Not tut.

Thanks - by the way! ;-)






Mittwoch, 14. September 2011

Steh-auf-Weibchen,
der Tod der Märchenprinzessin ...

... und wie man seinen Mann verkauft!

Ist das schon so lange her? Wirklich schon wieder ein Jahr?
(Danke, Reinhard!)

Ein Jahr stumm.
Ein Jahr im Limbus, im Fegefeuer ganz persönlicher Eitelkeiten.
Ein Jahr wie in Zeitlupe, in zäher Gallerte - Alptraum ohne Hoffnung auf Erwachen.

Ein Jahr.
Von nunmehr 52.

Teuer war es - realisierter Verlust rund 25 K.
Mühsam auch - ich wäre (und bitte, Leute - ich bin nun wirklich keine Drama-Queen!) fast daran gestorben.

Nicht einmal weinen konnte ich zum Schluß - keine Kraft ... der Brunnen leer.
Obwohl ich doch immer so stolz war auf meine Emotionalität ...
Weil ich es fließen lassen konnte ...
Weil ALLES fließt!
Weil ich zu meinen Schwächen, zu jedem Kummer stehen konnte.

Leere.
Limbus.

Betrachte ich das verflossene Jahr (Doch-doch-doch: Panta rhei!) weiß ich gar nicht, wo beginnen.
Wie erkläre ich mir und anderen, warum ich habe mit mir geschehen lassen, was geradezu griechisch-tragödisch mit bald stoischer Konsequenz mich den Abgrund schauen ließ? Lassen musste?
Den meinen, wie auch den meines Mannes??

Was mir half (und mich letztendlich rettete), waren Freunde, meine Familie, mein Kind.

Auch, wenn euch das an dieser Stelle eventuell peinlich sein könnte:
Lily und Eugene ... wenn ihr mich nicht mit beispielloser Beharrlichkeit immer wieder angestubst hättet ...
Gefragt, ob ich noch lebe.
Wie es mir ginge...
Obwohl ich genauso beharrlich (falscher Terminus: war ich doch schlicht zu keiner Antwort fähig) schwieg.

JETZT kann ich darum weinen.
Weil es mich glücklich macht und reich beschenkt fühlen läßt, Menschen etwas zu bedeuten, nicht ganz so grau, klein und wertlos zu sein, wie ich mich einfach viel zu lange gefühlt habe ...


Ehe diese Epistel jetzt zu kryptisch und zu sentimental gerät (wobei ich nun einmal ein sentimentales Huhn BIN - und das auch zu bleiben gedenke!):
Alex und ich haben uns Anfang des Jahres entschieden, das unheilvolle Experiment unserer Ehe zu beenden (eigentlich nicht gaaanz korrekt: ICH habe nämlich IHM den Laufpaß gegeben!), ich bin dabei, das Viel-zu-große-Haus zu verkaufen (und damit meinen Kerl gleich mit - es sei denn, er hat diesmal genug Arsch in der Hose, um sich etwas Anderes zu suchen) und werde mit der Mutter meines Kindes (samt Gör, aber das versteht sich wohl von selbst!) in ein vergleichsweise winziges Doppel-Holzhaus ziehen.
In "allen Ehren" natürlich, weil sie (die Kindsmutter, worum ich sie auf ewig glühend beneiden werde!) nun mal nicht lesbisch ist (ich - um der Wahrheit die Ehre zu geben - allerdings wohl auch nicht).

Dass das überhaupt möglich ist, verdanke ich meinen Eltern (Hallo, beste Eltern der Welt!), die - mit schier unvorstellbarem Einfühlungsvermögen - genau den richtigen Zeitpunkt abgepaßt haben, an dem ihre seltsame Tochter wirklich bereit zu einer veritablen Häutung war!
Die nämlich kauften das besagte Häuschen und vermieten es uns weiter.
Unglaublich, oder??

Irgendwie bin ich schon ein ziemlich glücklicher Pilz!

Wo ich gerade von Häutung spreche - hier ein Gedichtchen:

Haut

Häute mich
Häute DU mich
Häute mich
ICH häute mich!

Heute Du
Morgen ich

Britta/08


Das habe ich einst aus ganz anderem Anlaß geschrieben.
Paßt aber immer! Irgendwie. Hehe ...

Die Märchenprinzessin ist tot.
Die Märchenprinzessin??
Na - die Schönwetter-Frau.
Die, die sagt: "Wenn ich erst nicht mehr als Mann leben muss, wird alles SCHÖN!"

Wenn ... WENN man - wie ich! - die letzten Jahre Weiblichkeit von ganz unten am Laternenpfahl hat kennenlernen müssen ... und DENNOCH jetzt endlich (nach gefühlten 1000 Jahren, aber zumindest nach Jahrzehnten!) Namens- und Personenstandsänderung beantragt (und, so wie es aussieht, auch bekommt!), KANN es wohl kaum mit einem verschwiemelten "Frauen sind die besseren Menschen und haben es deshalb leichter" zu tun haben, oder??

Demnächst mehr.
Auch darüber, was für einen Anteil die besteste Tochter der Welt an all den Veränderungen hatte.

Demnächst. Was ja, wie ihr wißt, auch durchaus ein Jahr heißen könnte - aber ... Promise! ... diesmal nicht ganz so lange dauern wird! ;-P

Ach - ehe ich jetzt todmüde, aber glücklich ins Bett krieche, gleich noch ein Gedichtchen:

Phoenix

Ich kam der Sonne nah -
der Wind nahm meine Federn.
Nach endlos tiefem Fall spür' ich den Boden wieder.
Nun heißt es leiden, wie alle Opfer litten,
die Waage wies zu lange Soll.
Und leiden will ich, leiden werd' ich,
begleichen werd' ich meine Schuld.

Und zahle bar: die Stirn im Staub,
knietief im Schmutz, barfuß in Scherben
und Tonnen Asche auf mein Haupt.

Das steh' ich durch, das bricht mich nicht,
es sei ein Fest: Die Queen ist tot!

Denn einmal werd' ich wieder fliegen,
vom Schafspelz wird kein Wolf zum Lamm.
Erstehe neu, klopf mir die Asche vom Gefieder,
steig' unaufhaltsam auf und zieh am Himmel
- wild, vogelfrei und grausam -
alleine meine stolzen Kreise!

Dann gnade GOTT Dir, Deinen Brüdern
und jedem, der den Blick noch hebt

Britta/93



Gehabt euch wohl - wo immer ihr auch seid.
Gute Nacht John-Boy, gute Nacht Mary-Ellen, gute Nacht Deutschland!

Wer immer das auch lesen mag - ich liebe dich.
Weil Liebe das An und Um ist.

Bierernst meint das - das Brittalein! :-))

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Freitag, 30. Juli 2010

Doch-doch-doch-doch!

Nr. 5 lebt!

... zumindest, wenn man rein physische Gesichtspunkte für diese Aussage heranzieht. In Abwandlung eines sattsam bekannten Slogans könnte man auch "Lebst du noch? Oder wohnst du bloß?" fragen.
Mein letzter Eintrag in meinem eigentlich heiß und innig geliebtem Blog datiert vom 31ten Mai - und ebenso lange war ich auch kaum noch im übrigen Netz unterwegs. Selbst Mails konnte ich nur noch alle paar Wochen abrufen.
Das hat keinen bestimmten, bestimmbaren Grund - resultiert eher aus einer ganzen Gemengelage unterschiedlichster Widrigkeiten.

Eine eher angenehme (kann es angenehme Widrigkeiten geben??) ist der Umstand, dass wir einen Sommer haben, der diesen Namen auch verdient. Und wie in jedem Sommer verbringe ich endlos viel Zeit im Garten, was einerseits wundervoll ist, weil ich den Garten so liebe, andererseits jede Menge Arbeit bedeutet, damit das auch so bleibt. Unser Garten ist zwar mit 800 qm nicht wirklich riesig, aber doch recht pflegeintensiv.

Wesentlich unerfreulicher ist das nahezu unentwirrbare Gestrubbel technischer Probleme. Schon vor Monaten starb mein Laptop den plötzlichen Hitzetod. Hallo?? Siemens Celsius - rein namenstechnisch hätte ich da eine höhere Temperaturtoleranz erwartet! Schuld offenbar: unsere betagte Katze, die ihre mürben Knochen gern mal auf der Tastatur zu wärmen pflegte und im Gegenzug durch regen Haareintrag dafür sorgte, dass es auch der Hauptplatine ja nicht zu kühl zu werden drohte.
Weil wir gerade nicht wirklich im Geld schwimmen, werde ich mir noch eine Weile mit meinem eigentlich längst ausgemusterten Uralt-Laptop, an dem das deutsche Museum schon starkes Interesse bekundet hat, behelfen müssen. Oder eben mit dem alexianischen Macbook, an dem ich gerade sitze - und ich mag Macs nicht so. Mist.

Auch nicht lustig: unsere Bemühungen, einen bekannten Telefonanbieter zur Schaltung eines neuen Anschlusses zu bewegen (was endlich auch wieder einen eigenen Router fürs Erdgeschoß bedeuten würde) - seit bald sechs Monaten geht das nun hin und her. Zwei Aufträge haben die schon so hoffnungslos verstrubbelt, dass jetzt ein dritter, neuer angelegt werden musste. Liegt wohl ein wenig auch an meiner Starrsinnigkeit - ich hätte nämlich gern ganz unbedingt meine alten Nummern wieder. Ein für den Provider mit dem klangvollen Frauennamen offenbar schier unlösbares Problem.
So lange die da vor sich hin prutscheln, habe ich weder ein eigenes Telefon, noch eine halbwegs stabile Verbindung ins Internet, weil ich mich an das Kanzleinetz im ersten Stock hängen muss. Toll.
Zu allem Überfluss musste Alex die Kanzlei umstrukturieren - jetzt ist der Router, der so schon eher aus der Ferne grüßte, an den absolut entferntesten Ort verzogen, den er zu meinem bevorzugten Surfstandort einnehmen konnte. Die Verbindung ist miserabel - meine Laune entsprechend - und eine baldige Besserung ist nicht in Sicht.
Mittlerweile hat sich ein enormer Rückstau an unbeantworteten Mails und Dingen, die ich schon längst hätte tun wollen oder sollen, gebildet - und wie immer, wenn etwas nicht so läuft, wie das Brittalein sich das ausgedacht hat, beginnt es zu prokrastinieren.
Morgen... morgen schreib ich was... ganz bestimmt!
Wenn ich dann noch Mails entdecke, aber, da die Verbindung gleich wieder abbricht, nicht sofort beantworten kann, wird alles noch schlimmer, weil dann auch gleich schlechtes Gewissen aufkommt - DER Betriebsstoff für Prokrastination schlechthin. Schrecklich...

Und als wenn das alles noch nicht übel genug wäre, quälen wir uns auch noch mit jeder Menge anderer Probleme herum. Die schon angedeuteten Finanzen (ganz unerfreulich, wenn der Haushaltsvorstand attestierter Adrenalinjunkie ist), die Kinder (kleine Kinder, kleine Sorgen; große... ach, was soll's) und - last but most definitely NOT least! - mächtig Reibung, die unserer speziellen Situation geschuldet ist.

Das ist aber unbedingt ein eigenes Posting wert, was ich vorhabe, demnächst in Angriff zu nehmen.

Demnächst. Ihr versteht?
Demnächst - der achte Wochentag. Der Tag, an dem der liebe Herrgott nicht etwa ruhte, sondern sich gepflegt der Prokrastination hingab.

Bis dahin lasst mich euch versichern, dass natürlich alles noch viel schlimmer hätte kommen können, Polen ganz sicher noch nicht verloren ist, das Brittalein zwar leidet - aber auf gewohnt hohem Niveau! ;-)

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Montag, 31. Mai 2010

Rabeneltern!

Luftschlacht um Uetersen!

Weil ich irgendwie meiner hartnäckigen Schreibblockade zu entfliehen trachte, aber, da bei uns - bei mir - gerade so viel passiert, gar nicht weiß, wo anfangen, schreibe ich halt über heimische Flora und Fauna. So! ;-)

Der florale Teil besteht in diesem Fall aus einem etwa 100-jährigen Birnbaum in unserem Garten (so alt wie das Haus und komplett mit Efeu überwachsen) - den Vertreter der Fauna stellt der lärmende, aber gleichwohl überaus liebenswerte Stamm der Corvus Corone (vulgo Aas- oder Rabenkrähe) in Gestalt eines frierenden, immer hungrigen und offenbar tödlich gelangweilten Krähenkindes.
Das nämlich sitzt seit Samstagmorgen, fast flügge und daher wohl so um die 30 Tage alt, auf dem obersten Sproß des erwähnten uralten Obstholzes und wird wohl bald verwaschen grau aussehen, weil es zwischen all den Schauern kaum Zeit zum Trockenschütteln und -putzen findet.
Uns (und besonders mich, die ich das Privileg hatte, etwa fünf Jahre lang eine halbblinde Krähe zu päppeln) dauert das sehr. Wir können aber nichts tun: Das verfrorene Viecherl thront etwa acht Meter über dem Boden und ist damit unserem sorgenden Zugriff zuverlässig entzogen.
Eigentlich müssen wir aber auch gar nichts tun, weil die Altvögel regelmäßig nach dem Rechten schauen und auch füttern - es ist üblich, dass Krähenjunge kurz vor flügge aus dem Nest kegeln und dann halt da weiterversorgt werden, wo sie gelandet sind.
Krähen - wie alle Rabenvögel - sind nämlich entgegen landläufiger Meinung außerordentlich liebende Eltern, die im Zweifelsfall eher selbst verhungern, als dass sie die Brut darben ließen und diese zur Not mit dem eigenen Leben verteidigen.

Ein Paradebeispiel dafür bot sich uns heute Morgen, als wir im Garten standen und plötzlich ein Graureiher zum Greifen nah über uns hinwegzog, dabei dem Jungen bis auf etwa einen Meter nahekam.
Pfeilschnell und wie aus dem Nichts waren die Eltern zur Stelle und attackierten den entsetzten Reiher so heftig, dass der wie eine Rakete davonzischte und künftig wohl die Umgehungsroute fliegen wird.
Wer Krähen kennt, weiß, dass denen wirklich nix fies ist und dass sie sogar Menschen auf die Hörner nehmen, wenn sie Gelege oder Nestlinge in Gefahr wähnen. Habichte, die sich gern an Krähenküken gütlich tun, auch Bussarde, werden sogar prophylaktisch angegriffen und sehen, trotz Größen- und "Waffen"vorteil, selten eine Schnitte in so einer Auseinandersetzung.

Mein "Krähisch" ist zwar ein wenig eingerostet und hat auch damals meinen sehbehinderten Corviden nicht eben von der Stange gehauen, aber ich krächze dem kleinen schwarzen Desperado dennoch unverdrossen etwas vor und werde mittlerweile sogar gelegentlich einer Antwort gewürdigt.
Das arme Ding muss sich wirklich sehr, sehr langweilen... ;-)

Der Begriff "Rabeneltern" kommt übrigens von der Angewohnheit junger Raben, praktisch rund um die Uhr zu quengeln und wie am Spieß zu schreien - weshalb die Menschen früher glaubten, die Altvögel ließen sie hungern...

Nachtrag: Als ich eben in den Garten kam, um ein eventuell besseres Bild zu machen, hatte der kleine Dinosaurier gerade beschlossen, es doch mal mit Fliegen zu probieren! 
Weg isser - in ein hoffentlich erfülltes Corvidenleben, das ja immerhin gut 40 Jahre währen kann! :-)

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Dienstag, 20. April 2010

Alex aus der Asche

- Britta allein zu Haus? Aber nicht mehr lange! :)=)

Ha! Mein Mann, der letzten Donnerstag ja uuunbedingt noch zehn Minuten vor Schließung des Luftraums geschäftlich nach Malloooca mußte und eigentlich Sonntag schon wieder hier sein sollte, hat es tatsächlich geschafft, einen der wenigen Flieger nach Berlin zu entern!
Hat bestimmt "Lassen Sie mich durch - ich bin Anwalt!" gebrüllt.
Oder gedroht, den Verkehrsminister zu verklagen.
Ich sah mich ja schon vor meinem geistigen Auge mindestens bis zum Wochenende angstvoll und einsam auf der bedrohlich schrumpfenden Haushaltskasse sitzen.
Puuuh...Was bin ich froh, dass der Kerl wieder im Lande ist!
Gleich fahre ich ihn von Bahnhof abholen, ehe er mir noch in Hamburg verschütt geht.

Wehe, er hat mir nicht wenigstens ein Tütchen Vulkanasche mitgebracht! *strahlt wie ein Primelpott*

... Und da sage noch einer, ich könne nicht tagesaktuell bloggen! Pffff! :-)))

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Montag, 12. April 2010

Homecoming Queen

- wie Britta schließlich tatsächlich ihre Unschuld verlor. 
Und sogar ein bisschen blutete!

(ich weiß schon, dass "Homecoming Queen" eigentlich etwas ganz anderes meint - konnte dem Wortspiel aber nicht widerstehen)
Hier also Teil 7 - hat diesmal ein bisschen gedauert. Haupsächlich, weil ich es schwierig finde, die folgenden Ereignisse zu strukturieren, ohne all zu langatmig erklären zu müssen. Und weil jetzt langsam die Dinge anstehen, über die zu schreiben mir ein wenig peinlich ist... 

Britta kehrte also ohne jedes Bedauern der ostholsteinischen Provinz den Rücken und lief nach kurzer Akklimatisierungszeit über die Sommerferien nun nicht gerade im Triumph, aber doch hoffnungsfroh bei eben der Schule auf, von der sie zweieinhalb Jahre zuvor fast geflogen wäre.
Es hätte wohl die Möglichkeit bestanden, noch ein Jahr auf dem in Abwicklung befindlichen Internat zu bleiben und sich dann bis zum Abi in Timmendorf ein Zimmer zu mieten - aber Britta wollte einfach nur weg, weg, weg und wieder nach Hause.
In Schenefeld galt es erst mal, sich zwischen sprachlichem oder naturwissenschaftlichem Zweig zu entscheiden - das Ostseegymnasium hatte bereits die reformierte Oberstufe eingeführt, hier stand das erst fürs nächste Jahr zu erwarten.
Ein echtes Dilemma: Der sprachliche Zweig hätte bedeutet, zu Englisch und Latein noch Französisch dazuzunehmen, der naturwissenschaftliche barg das Risiko, dass die deutlich aufgebohrten Anforderungen in Mathe und Physik über Brittas nur durch heftiges Pauken erreichtes Niveau hinausgehen würden.
Mut zur Lücke: Britta wählte letzteres (auch, weil sie hoffte, damit weiterer Vermännlichung Vorschub leisten zu können) - und scheiterte erwartungsgemäß schon auf den ersten Metern.

Sobald klar war, dass nur die refomierte Oberstufe mit ihren zahlreichen Möglichkeiten, ungeliebte Fächer auf ein Minimum zurückzufahren oder sogar ganz abzuwählen, ein einigermaßen amtliches Abitur gewährleisten würde, lehnte ich mich entspannt zurück und legte so etwas wie ein inoffizielles Sabbatjahr ein. Die "Wiedereingliederung" war schwer genug und nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch: Erst jetzt wurde mir bewußt, wie sehr ich mich verändert hatte - meine alten-neuen Klassenkameraden erkannten mich kaum wieder. Schon vorher nicht eben einfach im Umgang, war es nun nahezu unmöglich mit mir auszukommen. So etwas wie Beißhemmung kannte ich nicht und fiel aus Gewohnheit, Angst oder auch nur zum Spaß verbal über jeden her, der mich nicht weiträumig umfuhr. Ruck-zuck war ich komplett isoliert und begann mir Gedanken zu machen, ob es wirklich der richtige Weg war, wie ein offenes Messer durch die Welt zu fräsen. Einen wirklichen Versuch, mich in die Klassengemeinschaft zu integrieren unternahm ich nicht, weil eh schnell klar war, dass ich ein Jahr zurückgehen würde.

Die einzigen Schenefelder, zu denen ich auch in der Verbannung Kontakt gehalten hatte, waren B. und M. - beide ein Jahr älter, deshalb keine Schulkameraden und auch eher seltsame Zeitgenossen, die sich wie ich weder für Fußball, Autos, noch tolle Frauengeschichten interessierten. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, tranken Tee, hörten Carole King, Cat Stevens oder Leonard Cohen und redeten über Gott und die Welt.
Das ganze absolut ohne die üblichen Hahnenkämpfe, ohne Aufschneiderei, ziemlich emotional und eigentlich mehr wie unter Mädchen - kein Wunder: beide waren, wie ich später herausfand, stockschwul.
Wenn ich auch noch weit davon entfernt war, mich den beiden zu offenbaren, so kam ich doch langsam wieder in Kontakt zu meinen Gefühlen, meinen weichen Anteilen. In ihrer Gesellschaft brauchte ich keine Angst zu haben, mußte nichts beweisen - ich habe mich selten so sicher und gut aufgehoben gefühlt.

In der Schule war ich in diesem Jahr eigentlich nur körperlich anwesend, träumte so vor mich hin - und wartete.
Aber irgendwie schien die ganze Welt zu warten: es war 1976, die Hippy-Ära ging zu Ende, Punk stand in den Startlöchern, die RAF bombte sich dem deutschen Herbst entgegen oder starb in Stammheim.
Ich war 17 und unterlag damit plötzlich der Wehrüberwachung - ein befremdlicher Gedanke.

Warten. Auf die Studienstufe, die Volljährigkeit, die Musterung, vor der ich mich fürchtete, weil ich auf keinen Fall zur Bundeswehr wollte, aber nicht wußte, mit welcher Strategie ich der Schule der Nation am besten entgehen könnte.
Warten auch auf Klarheit in Bezug auf meine geschlechtliche Situation, auf sexuelle Erfahrungen oder zumindest eine Idee, was ich denn überhaupt wollen könnte. Ich hatte absolut keinen Plan, wußte nicht, wo ich eigentlich hingehörte, welchem der beiden Geschlechter ich den Vorzug geben sollte - und beide Geschlechter waren so gar nicht an mir interessiert. Weil ich nicht Fisch, nicht Fleisch war... immer noch kindlich-androgyn... die Pubertät ein quälend langsamer, schleichender Prozeß. Furchtbar.

Mit dem Beginn des neuen Schuljahres und meinem 18ten Geburtstag kam Bewegung in die Stagnation. Ich beschloß, nicht länger darauf zu warten, dass sich eine Altersgenossin meiner erbarmte und meine Defloration vertauensvoll in professionellen Händen zu legen.
Am Abend meines Geburtstags machte ich mich also, bewaffnet mit Personalausweis und Geburtstagsgeld, auf den Weg hinaus aus der Vorstadt rein in den Sumpf des Lasters und der käuflichen Liebe - ein Terrain, dass ich schon vorher zu jugendschutzkonformen Zeiten akribisch sondiert hatte.
Ich war nicht etwa voll froher Erwartung, ich wollte es einfach nur schnell hinter mich bringen - möglichst umkompliziert und relativ peinlichkeitsfrei.

Puh - zu so später Stunde war ich zuvor noch nie in der "Verbotenen Stadt" unterwegs gewesen... zu bunt, zu grell, zu laut, zu voll... am liebsten wäre ich unverrichteter Dinge wieder umgekehrt.
Weil ich mir aber fest vorgenommen hatte, endlich mitreden zu können, wanderte ich eine Weile in der Gegend umher, faßte mir schließlich ein Herz und betrat das Eros-Center, eines der großen Bordelle an der Reeperbahn, das im Wesentlichen aus einer Art beheizter Tiefgarage mit viel Schwarzlicht bestand, in der mehr oder weniger leichtbekleidete Mädels auf Kundschaft lauerten.
Ich hatte mich noch nicht ganz an die merkwürdigen Lichtverhältnisse gewöhnt, als auch schon eine ältliche Dame, die gut meine Mutter hätte sein können, harpyiengleich auf mich zugeschossen kam. Die ließ sich erst mal meinen Ausweis zeigen - womit ich gerechnet hatte - entdeckte, dass ich Geburtstag hatte, vermutete richtig, dass ich quasi Jungfrau sei und ließ mich nicht mehr aus den Klauen.
Die war nun so gar nicht mein Typ - ich war aber völlig verschüchtert und absolut nicht in der Lage, ihr einen Korb zu geben und mich weiter umzusehen.

Britta fügte sich also ins Unvermeidliche, beschloß, über das fortgeschrittene Alter und den schon deutlich sichtbaren Verschleiß hinwegzusehen, hoffte, die Dame würde mangelnde Attraktivität durch ausgekochteste Erfahrung wettmachen und gedachte der väterlichen Mahnung, dass es eh "keine quer hätte". Auf die schüchterne Frage, was "das" denn koste, wurde ihr beschieden, dass sie mit 30 Mark dabei sei - wohlfeil. Also los.

Durch spärlich beleuchtete Treppen und Flure gelangten wir schließlich zu einer Art weiblichem Cerberus, wo es den Obolus zu entrichten galt, dann in ein schäbiges Zimmer, in dem ich aufgefordert wurde "mich doch schon mal freizumachen".
Na klasse. Schwester!! Ich will hier raus! Aber nix da: Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Nach ein wenig unbeholfener Konversation wollte meine Lehrmeisterin in Spe zur Tat schreiten und fragte, ob ich schon wisse, dass für 30 Mark nur eine "Handmassage" zu erwarten stünde? ... Was?? Zwei gesunde Hände hatte ich selber! Es half alles nichts - weitere 30 Mark wechselten den Besitzer. Dann fragte sie, ob ich etwas trinken wolle - das hätte ich zwar in der Tat gut gebrauchen können, ahnte aber, dass mein schmales Budget ohnehin nicht ausreichen würde, sie mir hinreichend schön zu trinken, und lehnte höflich ab. - Aber SIE dürfe doch?? Hnngh... in Gottes Namen. Sie düste mit weiteren sechs Mark zum Cerberus und kehrte mit einem Vodka zurück.

Dann ging alles recht fix: Sie streifte sich ein Hosen- samt Strumpfhosenbein herunter, wickelte beides um das andere (Gott, diese Romantik!), stülpte mir, nachdem sie routiniert an mir herumgewurschtelt und tatsächlich - wider Erwarten! - so etwas wie eine Erektion hervorgerufen hatte, ein Kondom über und warf sich auf den Rücken - Zeit war ganz offensichtlich Geld.
Wie ich diese groteske Situation überstehen und nach relativ kurzer Zeit sogar "fertig" werden konnte, kann ich mir nur dadurch erklären, dass etwas in mir auf Autopilot schaltete.
Dann verschwand sie kurz im Bad, während ich mich hastig anzog, und bugsierte mich anschließend über wieder andere Gänge und Treppen in einen schäbigen Hinterhof - offenbar wollte man die abgefertigte, desillusionierte Kundschaft nicht mit der noch zu bearbeitenden zusammentreffen lassen...

Da stand ich nun - es hatte passenderweise zu regnen begonnen - wußte nicht, ob ich hysterisch lachen oder herzzerreißend weinen sollte... und hatte das Gefühl, dass die Kindheit jetzt tatsächlich unwiderruflich vorbei war.
Mein erstes und einziges Erlebnis mit käuflichem Sex - jedenfalls aus Kundenperspektive.
Ich wollte nur noch heim. Ganz schnell.

Als ich nach Hause kam, schliefen meine Eltern bereits. Ich schlich ins Bett und heulte mir fast die Augen aus.

Nicht, dass ich sooo naiv gewesen wäre, anzunehmen, auf diese Art etwas wirklich schönes erleben zu können - aber SO furchtbar, so kalt, technisch und herzlos hatte ich mir mein "erstes Mal" nun doch nicht vorgestellt. Selbst körperlich hatte ich rein gar nichts gefühlt (vermutlich hat sie der Einfachheit halber eh "eine Falle geschoben"). Wenn DAS also das höchste der Gefühle gewesen sein sollte, meinte ich, zukünftig gut darauf verzichten zu können.

Aber halt! Ein Ass hatte ich noch im Ärmel: Da gab es ja immerhin noch die "B-Seite" für den Verkehr freizugeben!
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief ich schließlich ein.

(Uii... schon wieder ganz schön lang - das mit dem Blut gibt's dann doch erst nächstes Mal!)

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Samstag, 27. März 2010

Proudly featuring: Isabell

Tja-ha! Ich weise ja immer gern darauf hin, wen oder was ich so lese - normalerweise lasse ich es aber bei Auflistung in meiner Blogroll oder bei begeisterter Erwähnung bewenden. 
Aaaber...  Isabell ist etwas besonderes. Finde ich.
Die Kleene marschiert nämlich gerade im Stechschritt durch ihr Leben: Outing bei den Eltern - Aufnahme der Behandlung - Bewerbung am Gymnasium.
Und das ganze mit gerade mal 17 Jährchen - selbst meine Katze ist älter (wird übrigens am 4ten April 19!).
Und wie sie das macht (Isabell - Nicht die Felidin!) ist sooo tapfer... und sooo ambitioniert. Toll.
Und gestern - ja gestern... hat sie die Benachrichtigung bekommen, dass sie einen Platz am Gymnasium ergattert hat!

Yeeee-haw! 
Herzlichen Glückwunsch, Lütte!! 
War klar, dass du das packen würdest. *strahl* 

Und auch, wenn ich ja so gar keinen Anteil an deinen Leistungen habe - ich bin echt stolz auf dich!
Alles, was du tust, tust du auch für uns alle! :-)))


Ach - "aufgegabelt" habe ich sie übrigens bei Ravel - der ist nur wenig älter und auch ziemlich gut dabei! Lese ich immer wieder gern!
Die zwei (oh - und Cornelia natürlich!) sind der Grund, warum ich selbst auch glatt noch mal mit plus/minus 20 antreten würde... Ach Quatsch... Ich hab's ja eigentlich auch ganz gut getroffen! ;-P

Samstag, 20. März 2010

Seeräuberjenny

- und kein Schiff mit acht Segeln in Sicht ...

Der sechste Teil, in dem ich zu zeigen versuchen will, dass das Leben natürlich nicht NUR furchtbar war. Dazu bedarf es vielleicht einer genaueren Schilderung der Lebensumstände und des daraus resultierenden Lebensgefühls.

O Timmendorf, bleiche Mutter... Für alle Nicht-Norddeutschen und sonstigen Ostseevermeider, denen der Name so gar nichts sagt, sei erwähnt, dass es sich um ein in Ostholstein an die Lübecker Bucht gekuscheltes verschlafenes Nest handelt, in dem nur während der Badesaison so etwas wie intelligentes Leben möglich ist: Kaum hat nämlich der letzte Tourist diese entlegene Weltgegend verlassen, schliessen 75 % der Läden, fast die gesamte Gastronomie und das, zumindest damals, einzige Kino der Umgebung.
Mich wunderte immer, dass man dem Kaff nicht gleich einen großen Schonbezug überstülpte - "tote Hose" kam jedenfalls schon fast einem Euphemismus gleich.
Direkt durch Timmendorf (eigentlich Timmendorfer Strand) nietet der 54° 00' Grad nördlicher Breite, was die Eingeborenen mit Stolz und tiefer Befriedigung erfüllt, weshalb man diesem bedeutsamen Umstand mit einem Messingband, das sich quer durch den Ortskern zieht, Rechnung trägt.
In den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit geriet diese beschauliche Gemeinde nur einmal, im Frühjahr '45, als das Meer etwa 800 Leichen an den Strand spülte, die anläßlich der Versenkung der Schiffe "Cap Arcona" und "Thielbeck" fünf Tage vor Kriegsende in der Lübecker Bucht den Tod gefunden hatten.
Die Timmendorfer versuchten vergeblich, Kurtaxe zu erheben.

Hier nun rief nach Kriegsende die evangelische Kirche das einzigartige Bildungsinstitut ins Leben, in dem Britta, wie 15 Jahre früher ihr Halbbruder (was sie allerdings erst ewig später erfuhr - aber das ist eine andere Geschichte), von der Schulversagerin auf stromlinienförmig-erfolgsorientiert umfrisiert werden sollte.
Ursprünglich war es, mit eigener Schule in privater Trägerschaft, besonders für Kriegs- und Flüchtlingskinder gedacht, später wurde es dann mehr zu einer Art Wohnheim mit Hausaufgabenbetreuung direkt neben dem Ostseegymnasium, dass das Land Schleswig-Holstein dazu vorgesehen hatte, auch die Gören der Rapsbauern, Fischer und Pensionswirte der Region mit so etwas wie Bildung zu versehen.
Das Internat stellte rund ein Drittel der Schülerschaft, war relativ preiswert und ohne jeden elitären Ruf, so dass die Belegschaft etwa zur einen Hälfte aus Problemkindern, zur andern aus Kids bestand, die aus den unterschiedlichsten praktischen Gründen in fremde Obhut gegeben werden mußten.
Der abgelegene Standort und die widrigen Bedingungen außerhalb der Saison führten dazu, dass das Kollegium der Schule zu einem nicht unerheblichen Teil aus skurilen Persönlichkeiten bestand, von denen nicht wenige schon die eine oder andere Strafversetzung hinter sich hatten, oder nach dem Krieg da irgendwie hängengeblieben waren.
So richtig freiwillig - so schien es jedenfalls - war eigentlich niemand da: Die Eingeborenen nicht, nicht die Lehrer - und wir Internatler schon mal rein gar nicht!
Im Winter hatte das ganze Setting in etwa den Charme einer sibirischen Strafkolonie.

Lustig war es irgendwie schon: Wir hatten einen Erdkundelehrer, der eigentlich nur von Weltgegenden erzählte, die er mit der Wehrmacht bereist hatte, und gern detailreich und blumig schilderte, wie er dreier Finger, eines Teils seiner Schädeldecke nebst einer Hinterbacke verlustig ging, weil er seine Handgranate zu spät geworfen hatte, eine Geschichtslehrerin, die uns ergriffen Lauschenden (Hey! - das hatte wenigstens am Rande irgendwie mit Sex zu tun!) zur Traumabewältigung ihrer Massenvergewaltigung durch die Rote Armee missbrauchte, und einen Chemielehrer, der nicht nur eines Tages den Chemiesaal komplett entglaste, weil er die Herstellung von Nitroglyzerin demonstrieren wollte, sondern auch der besseren Anschaulichkeit halber aus gutem Grund schwer erhältliche Chemikalien wie metallisches Arsen oder roten Phosphor durch die Reihen gehen ließ und sich jedesmal wunderte, wie flüchtig doch selbst feste Stoffe sein konnten, wenn sie nur giftig oder gefährlich genug schienen.
Dann war da noch der Englischlehrer, stets bedroht von der dann dritten Disziplinarmaßnahme, die die entgültige Entfernung aus dem Dienst bedeutet hätte, weil er gern mal mit seinem schweren Schlüsselbund warf oder Schülern die Nase blutig schlug.
Und natürlich mein ganz persönlicher Favorit: Der Lateinlehrer, dessen beispielloser Sadismus es ihm notwendig machte, sich alle straßenseitigen Fenster vermauern zu lassen, weil er es irgendwann leid war, ständig die Scheiben zu ersetzen, die die Schüler ihm einwarfen.
Klein, dicklich und mit Käpt'n-Bünting-Bart stand er der "Segelgilde" vor, einer Art AG, die über eine kleine Flotte Boote verfügte, die unten am Strand im "Segel-Käfig" wohnten.
Segeln allein wäre natürlich lustig gewesen, in der Gilde zu sein bedeutete aber, wöchentlich an einem Konditionstraining teilnehmen zu müssen, das jeder Ledernackeneinheit zur Ehre gereicht hätte.
Wurde man beispielsweise beim Rauchen erwischt, lautete das Urteil meist "Tadel oder einmal Konditionstraining".
Britta wählte nur einmal letzteres, wurde erbarmungslos geschliffen und akzeptierte von da an lieber willig den Tadel.
Im Unterricht herrschte blanke Angst, weil der Pauker nicht nur mega-streng war, sondern sich auch jedesmal ein-zwei Opfer aussuchte, die er verbal drangsalierte. Die Mädels litten besonders unter permanenten, aber leider nicht wirklich justitiablen Schlüpfrigkeiten: Bettina beispielsweise klang bei ihm immer wie Bett-Ina, Susanne wurde zu Sus-Anne (Sus = lat. Schwein).
Gab es keinen Namen zu verballhornen, griff er auf vermeintliche intellektuelle Defizite oder körperliche Unzulänglichkeiten zurück. Mir unvergesslich: "Regina - mit Ihnen möchte ich mich heute über ... Formen unterhalten... Und auch die ... Stellungen sollen dabei nicht zu kurz kommen!" ... Har-Har...
Britta lernte bei ihm nicht nur jede Menge Latein, sondern auch, dass es ganz schön doof ist, Frau zu sein.
Jedenfalls, so lange es solche Drecksäcke gibt. Und dass man sein rhetorisches Schwert nicht nur schleifen, sondern auch gleich noch vergiften kann.
Neben all den Mumien, Monstren, Mutationen hatte es schon auch ein paar nette Referendare und andere eher unauffällige Gutmenschen, die wohl einfach keinen attraktiveren Arbeitsplatz gefunden hatten.
Und wenn das alles vielleicht erst mal furchtbar klingen mag - dieses skurile Panoptikum von Lehrerschaft bot auch hohen Unterhaltungswert - langweilig war es jedenfalls nie.

Im Sommer gings - der Stand war schon schön. Auch wenn ich nicht gern badete - ich hätte dazu ja das T-Shirt ausziehen müssen. Wenn wir nicht baden konnten oder durften, vertrieben wir uns die Zeit damit, ein Opfer zu suchen, dass wir dann bis zum Hals eingraben und seinem Schicksal überlassen konnten. Besonders begehrt waren da die bedauernswerten Zeitgenossen, die die damals beliebten "Bay-City-Roller-Hosen" - Jeans, die am Hintern knalleng, dafür am gesamten Bein superweit waren - trugen: die konnte man prima mit Sand befüllen, bis sie, prallen Würsten gleich, ihren Träger vollkommen bewegunslos machten, weil wir sie sowohl unten, wie auch am Bund mit Bändseln verschnürten, die man nur mit einer Schere wieder aufkriegte.
Lustig. Sehr. So lange man nicht selbst den "Zombie" abgeben mußte - so schleppte man sich nämlich dahin, wenn es einem überhaupt gelang, auf die Beine zu kommen. 

Direkt hinter dem Internat verlief eine Umgehungsstraße, dahinter lag ein wunderschöner Wald - teilweise fast undurchdringlich verwuchert, teils mit uralten Buchen bestanden. Im Dickicht bauten wir aufwändige Höhlen, was natürlich streng verboten war, weil wir da auch immer Feuer machten.
Auf der Abbruchkante der an dieser Stelle weiter im Landesinneren verlaufenden Steilküste gab es Ruinen, die von einer ehemaligen Flakstellung stammen sollten. Den Hang hinab führte, Gerüchten zufolge, ein Geheimgang, der mit dicken Mauerwerksbrocken verfüllt war und von dem die Fama ging, dass die Nazis da Waffen und Munition vergraben hätten.
Generationen von Internatlern hatten sich da schon die Finger wundgebuddelt - wir natürlich auch. Nicht, dass wir je auch nur einen Uniformknopf gefunden hätten - aber Spaß machte es trotzdem, weil es natürlich auch verboten war.

Bei solchen Gelegenheiten kam noch am ehesten Hanni-und-Nanni-Feeling auf.

Ich verbrachte viel Zeit allein im Wald. Bewaffnet mit Decke und Buch zog ich mich in den Buchenwald zurück, wo ich eine kleine Lichtung kannte, an der stundenlang keine Menschenseele vorbeikam.
Stille. Absolute Stille. Und besonders, wenn die himmelstürmenden silbergrauen Säulen frische, grüne Blätterkronen trugen, ein grün-goldenes Licht, dass man so nur in alten Laubwäldern findet.

Sääähr aufregend auch, weil am aller-aller-verbotensten: das "Aussteigen". Nachts waren die Häuser abgeschlossen - es galt also, sich die Zwergenbelegschaft eines Unterflurzimmers mit Bestechung gewogen oder durch Einschüchterung gefügig zu machen, so dass das Fenster geöffnet und die Schnäbel geschlossen blieben, abzuwarten, bis unser Erzieher durch den reichlichen Genuß von "Underberg" (DAS Frauengold für den Mann, quasi!) hinreichend stramm vor Anker lag, um dann leise hinauszuhüpfen.
Raus ging es recht locker, weil es von der Brüstung bis zur Erde lediglich zwei Meter waren - rein war schwieriger: Räuberleiter, den letzten hievte man mit vereinten Kräften hinauf. Alles natürlich so leise als möglich, weil der Erzieher wohl nur mit den Posaunen des jüngsten Gerichts wiederzuerwecken gewesen wäre, seine Frau, die der Internatsküche vorstand, hingegen Ohren wie ein Luchs hatte.
Ohne die Haarpuschel an den Spitzen natürlich.
Manchmal wanderten wir nur am nächtlichen Strand umher - gelegentlich ließen wir uns aber auch von den örtlichen Päderasten in irgendeiner Spelunke, deren Wirt unser jugendliches Alter Wurst war, freihalten. Mehr oder minder beschwipst UND leise zurückzukraxeln war eine echte Herausforderung - wurde man erwischt drohte sofortige Relegation.
Die freundlichen Päderasten von nebenan taten nicht viel mehr (jedenfalls kamen mir keine weitergehenden Geschichtchen zu Ohren), als uns abzufüllen oder mit sinnlosem Krams zu beschenken; ich fand es trotzdem eklig - deshalb blieb es für mich eine einmalige Erfahrung.

War es zur Zeit meines "Strafantritts" noch recht schwierig, Aufnahme zu finden, blieben dem Internat jetzt langsam die Interessenten weg - Abgänge konnten nur noch selten ersetzt werden.
Das "Haus an der Timme" schlossen sie zuerst, dann mußte die "Abteilung Würz", in der die Jüngsten sonderbehandelt wurden, dran glauben - und schließlich zog "Fräulein Mahlzahn" murrend und knurrend mit all ihren verbliebenen Prinzessinnen aus dem "Mädchenhaus" in die untere Etage des "Neuen Jungenhauses" - sie bestand natürlich auf nagelneuen Sicherheitsschlössern und installierte gewiss heimlich zusätzlich Sprengfallen und Selbstschußanlagen.
Fast alle Oberstufenschüler wurden nun auch im "NJH" konzentriert, weshalb bei uns im Oberflur allerhand Zimmer vakant wurden - Britta gehörte zu den Gewinnern dieser Reise nach Jerusalem und mußte sich jetzt nur noch mit einem, statt mit fünf doofen Jungs herumplagen.

Etwa um diese Zeit muss ich zum ersten Mal über den Begriff "Transsexualität" gestolpert sein. Bis dahin war mir nur "Transvestit" und - als Schimpfwort - "Tunte" geläufig. Das schienen aber Männer zu sein, denen es Spaß machte oder ein Bedürfnis war, sich als Frauen zu verkleiden - ich fühlte mich eigentlich eher als Mann verkleidet.
Nun hörte ich von Menschen, die als Männer nach Casablanca flogen, dort all ihre Ersparnisse ließen und dann als Frau zurückkehrten. Oder zumindest als etwas ähnliches.
Die OP-Technik steckte in den Kinderschuhen und die Ergebnisse waren wohl entsprechend.
Meine Reaktion war zwiespältig: Einerseits eröffnete das ganz neue Optionen - man konnte also tatsächlich sein körperliches Geschlecht wechseln! Ufff... Mann-Sein war kein unabänderliches Schicksal??
Andererseits bedeutete es große finanzielle Opfer, Schmerzen, Risiken, unbefriedigende Ergebnisse - und vor allem: ein Leben im gesellschaftlichen Abseits. Fast alle "anderen Frauen" landeten offenbar über kurz oder lang im Rotlicht-Milieu, wenn sie nicht da schon das Geld für ihre OP zusammengespart hatten.
An Informationen zu kommen, war mehr als mühsam. Was sich heute problemlos an einem Nachmittag im Netz recherchieren läßt, bedeutete damals endloses Herumsuchen in Bibliotheken und peinliches Herumgefrage.
Was ich herausfand, entsetzte und entmutigte mich. So wollte ich nicht leben. Ich wollte kein Freak ohne bürgerlichen Job und ohne Familie werden, wollte nicht tagsüber das Gespött der Leute sein und des Nachts Gefahr laufen, totgeschlagen zu werden wie ein herrenloser Hund.
Ich verstärkte meine Bemühungen, diese "unselige Veranlagung", diese "unerklärliche Perversion" loszuwerden, oder doch zumindest so zu kaschieren, dass man mich nicht mehr "Jenny" rief (leitete sich teilweise auch ganz unschuldig von "Jani" ab - ich hieß Jan); ich war es auch leid, die "Maus" zu sein, die man zwar fürchtete, weil sie zunehmend schmerzhaft beißen konnte, aber trotzdem nie wirklich ernst nahm.
Ich hätte so gerne irgendwo dazu gehört, aber all meine Bemühungen verstärkten nur den Zwiespalt - ich begann mich zu hassen.
Ich haßte mich für meine Unzulänglichkeit, für meinen Mangel an Mut, für meine Verschlagenheit, die Verlogenheit und die Skrupellosigkeit, mit der ich die Schwächen anderer aufdeckte und mitleidlos für meine Zwecke nutzte.
Und ich haßte meine "Geschlechtsgenossen" - so sehr, wie ich sie fürchtete.
Das waren die "Feinde"... ALLE Männer waren Feinde - Feinde, unter denen ich leben mußte, denen ich eigentlich nicht gleich werden wollte, es aber zu müssen meinte.

In der Schule lasen wir die "Dreigroschenoper" - und ich empfand tiefes, fast schwesterliches Mitgefühl für die Seeräuberjenny.
Und wenn das Schiff mit den acht Segeln und den 50 Kanonen an Bord unseren Strand angelaufen hätte, mich retten zu kommen... Und wenn sie mich gefragt hätten, wen sie töten sollten... Dann hätte Jenny "ALLE!" geantwortet. Wie aus der Pistole geschossen. Das ist jedenfalls mal sicher!

Ein Jahr später drohte dem Internat die Schließung, ich hatte mich inzwischen schulisch saniert und durfte deshalb nach Abschluß der Zehnten heim.

Britta packte also glücklich ihre Siebensachen und verließ den Ort ihrer Verbannung um viele Erfahrungen reicher, -zig Illusionen ärmer, als hervorragende Schauspielerin und mit allen Wassern gewaschene Soziopathin.

(Hmpf... ich war eigentlich wild entschlossen, diesmal nur die positiven Aspekte, die lustigen und wirklich lehrreichen Seiten herauszustreichen - nun ist das schon wieder so eine dramatische Jammernummer geworden. Pfff... vielleicht krieg ich ja im nächsten Teil die Kurve!)

Schnell noch ein wenig Bratzen-Lyrik:

Hochmut

Ich mag den Hochmut
– vor dem Fall,
ich mag den Stolz,
wenn er sich regt.
Und ich mag Würde,
dann zumal,
wenn man sie
Stück für Stück ...
so peu à peu ...
zu Markte trägt. –

Britta/'92

(viel später und eigentlich in ganz anderem Zusammenhang geschrieben - paßt aber irgenwie, find ich...)


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