Sonntag, 28. Februar 2010

Killer-Bunny

... oder wie man seine Unschuld verliert - ohne selbst zu bluten!

Der dritte Streich nach "Pazivalerina" und "Britta hinter den Spiegeln" - nicht, wie ursprünglich geplant, der letzte; eigentlich mehr ein erklärendes Zwischenspiel.
Ich fürchte, meine "Vergangenheitsbewältigung" wird doch ein wenig umfangreicher...


Der gravierendste Unterschied zu meinem bisherigen Leben bestand darin, dass ich von einem auf den anderen Tag meiner Privatsphäre vollständig verlustig ging.
Wird man in der Schule gemobbt, so ist ein Ende der Qual doch absehbar: Nach Schulschluß kann man sich in seine Höhle verkriechen und sich seinen Umgang in der Freizeit mehr oder weniger selbst aussuchen. Hat man hingegen das Pech, auf einem Internat zu landen, gehen die Uhren anders.
Unsere Schule war direkt nebenan und wurde auch von den sogenannten "Externen", den Gören aus Timmendorf und umzu, besucht. Nach Unterrichtsende war man also lediglich rund zwei Drittel seiner potentiellen Quälgeister los. Der Rest folgte einem im großen Pulk in den Speisesaal. 30 Minuten später verteilte sich alles auf die jeweilgen Häuser - von den ursprünglichen 220 blieben in meinem Fall so etwa 60, mit denen schon mehr zu rechnen war, weil sie sich einigermaßen frei im Haus bewegen und einem auf die Pelle rücken konnten - alle anderen mußten sich beim Erzieher anmelden, wenn sie zu jemandem aus unserem Haus wollten.
Im Haus splittete sich die Meute, schichtete sich nach Alter und Fluren. Sechs bis acht Zwerge pro Zimmer im Unterflur, im Mittelflur vier bis sechs, die Oberstufe residierte im Oberflur in relativ komfortablen 2-3-Personen-Höhlen.
Besucht (meist eher heimgesucht) wurde von oben nach unten: Jüngere gingen nicht ohne Einladung oder guten Grund in die oberen Flure. Blieben also etwa 20 Leute, denen man jederzeit im Flur, auf dem Klo oder im Waschraum begegnen konnte.
Der alles entscheidende letzte Cluster aber war die Zimmerbelegschaft: Den direkten Bettnachbarn KONNTE man nicht entgehen. Die waren IMMER da, rund um die Uhr, mit denen ging man zur Schule, saß beim Essen mit ihnen an einem Tisch, machte gemeinsam Hausaufgaben und wurde mit ihnen zweimal die Woche in die gaskammerartige Gemeinschaftsdusche gescheucht - die konnten auch mitten in der Nacht auf komische Ideen kommen.
Die einzige Möglichkeit, mal für eine kleine Weile allein zu sein, gab es während der Stunden, in denen man "Ausgang" bekommen konnte. Dann konnte man an den Strand oder in den Wald flüchten - was ich tat, wann immer es ging.

Die Lebensqualität bemaß sich in erster Linie nach der Stellung in der Hierarchie.
Die "Alphatiere" hatten außer der Mühe, ihren Rang zu behaupten, wenig auszustehen. Als Alpha galt, wer beliebt, gefürchtet, oder beides war.
Beta- und Gamatierchen mußten sich schon etwas wärmer anziehen, lauerten auf eine Gelegenheit, den Alphas den Rang abzulaufen oder doch zumindest nicht weiter abzusteigen.
Die "Omegas" aber hatten die Hölle auf Erden. Jeder, absolut jeder hielt sich an ihnen schadlos, trampelte auf ihnen herum, um Dampf abzulassen oder einfach nur so.
Sozialer Status in der Aussenwelt half nur bedingt: Reicher Leute Kinder konnten sich in bestimmtem Umfang freikaufen. Die weniger reichen versuchten das auch - im Nebenzimmer hatte es einen Unglückswurm, dessen einzigen Resourcen aus alle paar Wochen von seiner Großmutter geschickten Freßpaketen bestanden. Die lieferte er ungeöffnet ab - seine Zimmer'genossen' fraßen die Hälfte und verteilten den Rest, um sich selbst "Freundschaften" zu erkaufen.
Eine andere Beschwichtigungsmöglichkeit bestand darin, unangenehme Aufgaben zu übernehmen: Ein Dienstplan regelte, wer in der Küche helfen, den Hof fegen, die "Schweineeimer" wegbringen (die reichlich anfallenden Essensreste, mit denen Viehzeug gemästet wurde), Zimmer und Flure saubermachen mußte. Überwacht wurde das vom "SvD", dem (üblicherweise im Oberflur beheimateten) "Schüler vom Dienst". Den aber kümmerte nur, das es erledigt wurde - nicht wer das tat.
Nicht sooo üblich, aber sowohl einvernehmlich, als auch als Resultat von Nötigung möglich: sexuelle "Dienstleistungen". In so eine Position zu geraten, vernichtete zwar jede Chance, jemals wieder Ansehen zu erlangen, verhalf aber wenigstens zu EINEM "Beschützer", der die übrigen Bestien auf Abstand hielt.
Jeder wußte davon, wußte, wer wen wann schlug, demütigte, nötigte - wie hätte man das bei der sozialen Enge auch unter der Decke halten sollen? - und keiner half.
Im Gegenteil: Einmal stigmatisierten Opfern gab man schnell im Vorübergehen auch noch einen mit. Die Erzieher bekamen davon nur Wind, wenn sie zufällig dazu kamen - Petzen zu laufen ging gar nicht, kam sozialem Selbstmord gleich.

Britta hatte nun wirklich nicht das Zeug zum Alphatier, war weder stark, noch sportlich, war nicht reich und sicherlich kein Mädchenschwarm - hatte aber den festen Willen, nicht als Omega zu enden und biß deshalb wild um sich.
Es gab so etwa eine Handvoll Einzelgänger - Mavericks, die nirgends dazu gehörten, die außer Konkurrenz liefen, weil sie irgendetwas an sich hatten, das sie aus der Masse heraushob.
Paria - Unberührbare... Entweder vergeistigte Genies, die in irgendwelchen unerreichbaren Sphären schwebten - oder brandgefährliche, unberechenbare Soziopathen, denen man besser nicht zu nahe kam, weil sie keinerlei Beißhemmung kannten, sich an keine Regeln hielten.
Hier kam ihr jetzt ihre starkentwickelte Empathie zustatten - eigentlich eine schöne, soziale Fähigkeit, die man aber auch hervorragend nutzen konnte, um anderer Leute Schwächen herauszufinden. Nun nur noch das Kaliber der Revolverschnauze gehörig aufgebohrt, letzte Skrupel über Bord (tschüß, Hanni und Nanni - das Leben ist WIRKLICH kein Ponyhof!) - und dann volle Lotte drauf! Auf alles und jeden, der den Sicherheitsabstand nicht einzuhalten tollkühn genug war.
Das führte in der ersten Zeit mehr als einmal zu blutiger Nase und zugeschwollenen Augen - dann hatte auch der Unbedarfteste gemerkt: Das kleine Mistvieh umfuhr man besser weiträumig, ließ es in Frieden, wollte man vermeiden, zum Gespött des Publikums zu werden. Britta vermied nämlich schlau die Konfrontation tête-à-tête, knöpfte sich potentielle Opfer nur vor, wenn genügend Zuschauer zugegen waren, die eine zünftige öffentliche Exekution auch gebührend zu würdigen wußten.

Ich merkte anfangs gar nicht, WIE zerstörerisch meine Kraft bereits war, hielt mich für winzigklein, unbedeutend und ganz und gar nicht dazu im Stande, ernstzunehmenden Schaden anzurichten.
Auch da bedurfte es wieder eines Satori-Erlebnisses, wie seinerzeit mit dem Spatzen.
Im Keller stand ein vielfrequentiertes Tischfußball-Dings, dass ich üblicherweise mied, weil Kickern Ballgefühl erforderte... Gelegentlich ließ ich mich jedoch dazu breitschlagen. Wir spielten zwei gegen zwei - etwa 10 Leute standen um uns herum, sahen zu und kommentierten - natürlich auch meine häufigen Patzer.
Wortführer war O., der etwa so alt wie ich, ebenfalls mit recht spitzer Zunge gesegnet und einer unserer wenigen Realschüler war. Dieser Umstand, sowie die Tatsache, dass er als Scheidungskind mit seiner Mutter in deutlich bescheideneren Verhältnissen als vor der noch nicht lang zurückliegenden Trennung seiner Eltern lebte, machte ihm zu schaffen, wie ich wußte.
Erst versuchte ich, ihn mit gelegentlichen Repliken in seine Schranken zu weisen, während ich weiterspielte; als er aber gar nicht lockerließ und sich mit hohntriefender Stimme darüber verbreitete, dass ich wie ein Mädchen kickerte, platze mir der Kragen: "Klar! Klar spiele ich wie ein Mädchen!", dachte ich, "Aber DU Mistkerl wirst der letzte sein, der herausfindet, WARUM!" - es war an der Zeit, ihn nunmehr meiner vollen Aufmerksamkeit zu würdigen.
Ich brach das Spiel kommentarlos ab, wandte mich zu ihm um und nahm sorgfältig Maß. Er war voll dabei, wähnte sich sicher und die Lacher auf seiner Seite - die ersten Einschläge merkte er nicht einmal. Als ihm aufging, dass die anderen längst nicht mehr über mich, sondern über ihn lachten, war's zu spät - ich hatte flink das Thema gewechselt und konzentrierte mich jetzt ganz auf seinen Kummer über den sozialen Abstieg, erfand haarsträubernde Geschichten über den Stadtteil, in dem er leben mußte, über seine Mutter, die Wohnung, die gesamten Lebensumstände. Er gehörte üblicherweise eher zu denen die austeilten, als dass sie einstecken mußten, war nicht gewohnt, so in die Defensive zu geraten, mühte sich redlich, aber fruchtlos, wieder eine eigene Strategie zu finden.
Schließlich wurde seine Gegenwehr schwächer und stereotyper, er begann sich unter meinen Worten wie unter einer Peitsche zu winden, wich endlich rückwärts in Richtung Treppenhaus zurück - ich und meine feixenden Claqueure immer hinterher. Ich trieb ihn mit Worten die Treppe hinauf, konnte fast körperlich fühlen, wie sie ihn trafen, war wie im Rausch, wurde schneller, zynischer und gemeiner, hielt ihn aber praktisch künstlich am Leben, wo ich ihm längst den rhetorischen Gnadenstoß versetzen oder ihn vom Haken hätte lassen können - ich hatte doch schon längst gewonnen.
Die Hatz endete im Dienstzimmer des Hausvaters - er hoffte wohl, ich würde dort von ihm ablassen, hatte aber die Rechnung ohne das Brittalein gemacht, die wie besoffen von der Schönheit und Kraft ihrer Worte dort erst richtig zur Höchstform auflief. 

Ich muß wirklich sehr, sehr witzig gewesen sein - selbst unser Erzieher, der in der ihm eigenen Einfalt überhaupt nicht überriß, welches Drama sich da vor seinen Augen abspielte, lachte sich halbtot...
O. war längst am Ende - eigentlich schon deutlich drüber - ich wußte das, ich wußte was ich tat, sah sein Kinn verräterisch zucken, hörte das Zittern in seiner Stimme... Keine Gnade... keine Atempause - ich war dafür bekannt, keine Gefangenen zu machen... aber eine derartige Machtfülle hatte ich nie zuvor empfunden.
Schließlich der völlige, totale Zusammenbruch: O. brach in Tränen aus... vor versammelter Mannschaft... vor dem jetzt doch wie vom Donner gerührten Erzieher... er rannte raus, flüchtete die Treppe rauf, gab Fersengeld wie von Furien gehetzt, schloß sich im Klo ein und drohte, sich das Leben zu nehmen.
Drei Stunden redeten sie auf ihn ein wie auf ein krankes Pferd, bis er endlich wieder heraus kam.

Mir trug die Nummer eine gehörige Standpauke vom Internatsleiter, zu dem man mich schleppte, zwei Wochen Stubenarrest und einen Ruf wie Donnerhall ein: Ich war das Killer-Bunny, ich war die Maus die SCHRIE, dass selbst den Tigern das Blut in den Adern gefror.

Ein klein wenig erschrocken war ich schon (Oops - war ICH das??), aber in erster Linie doch mächtig von mir selbst beeindruckt - das schlechte Gewissen kam erst viel, viel später.
O. hat nie wieder ein Wort mit mir gesprochen.

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Donnerstag, 25. Februar 2010

Britta hinter den Spiegeln

... häßliches Entlein - sterbender Schwan

Die "Parzivalerina" ging mir noch erstaunlich schnell von der Hand. Hier nun die Fortsetzung - hat jetzt doch länger gebraucht, als ich gedacht hätte. Ich bin nicht sicher, ob ich die anfängliche Stringenz beibehalten kann, werde wahrscheinlich doch gelegentlich Episoden aus der Zeit bis elf anfügen müssen - je länger ich über all den alten Kram nachdenke, desto mehr kommt da wieder hoch. Ich will dennoch versuchen, einigermaßen chronologisch und übersichtlich zu bleiben.

War das Leben bisher schon verwirrend und kompliziert, so verschärfte sich das mit Eintritt ins Gymnasium und allmählich einsetzender Pubertät erheblich. In der Grundschule hatte ich meine Nische, die Mitschüler hatten sich über die Jahre an mich gewöhnt und ließen mich weitgehend in Ruhe - in der neuen Klasse mußte die Hierarchie neu ausgefochten werden, Kleidung wurde doch langsam wichtiger, sozialer Status auch.
Meine Mutter hatte immer noch recht wenig Geld, kaufte daher eher preisgünstige und zweckmäßige Sachen, Gott sei Dank aber auch nichts Auffälliges mehr, was mich hätte bloßstellen können.
Hatte ich mich bis dahin mit Händen und Füßen gegen Mädchensachen gewehrt (nicht, weil sie mir etwa nicht gefallen hätten!), wurde mir jetzt langsam bewußt, dass mein persönlicher Geschmack doch sehr von dem der Jungs abwich. Ich fand über die Maßen spannend, was die Mädchen so anhatten, entdeckte, dass es Leute wie David Bowie, Bryan Ferry und Brian Eno gab, die mit Geschlechterrollen und -klischees spielten.
Mein Zimmer tapezierte ich aber dann doch lieber mit Alice-Cooper-Postern - ehe noch jemand auf komische Ideen gekommen wäre.

Körperlich tat sich bei mir nicht viel. Ich war und blieb kleiner, zierlicher und unsportlicher als die meisten meines Jahrgangs und war entsprechend unpopulär. Ein komisch undefinierbares häßliches Entlein.
Laufen konnte ich allerdings. Und Weitspringen - typisches Fluchttier eben. Das rettete mir manches Mal mein knochiges Hinterteil, weil ich zwar körperlich nicht viel zuzusetzen, aber einen unverhältnismäßig frechen Schnabel hatte. Gefääährliche Kombi.

Ungefähr um die Zeit muß ich auch den Begriff "schwul" aufgeschnappt haben - etwas offenbar extrem Schlimmes, das mit effeminiertem Verhalten und Auftreten einherzugehen schien. Mir schwante Böses.
Entsprechend überaufmerksam beobachtete ich mich selbst, fand bei mir aber keine auffällige Präferenz für Jungs. Mädchen interessierten mich allerdings so rein erotisch genauso wenig. War wohl eh noch ein bißchen früh, weil ich erst mit etwa zwölf erste Anzeichen pubertärer Veränderung zeigte.
Diese an sich schwere Krankheit nahm bei mir ohnehin einen recht sanften Verlauf: kaum Akne, keine seltsamen aggressiven Anwandlungen, nur spärlich sprießende Körperbehaarung - noch ein Grund mehr, den Sportunterricht zu hassen. Dort nämlich wurden körperliche Fortschritte akribisch beobachtet und kommentiert.
Ich blieb bis etwa 16 äußerlich mehr oder minder Kind - jedenfalls im Vergleich. Selbst ein richtig amtlicher Stimmbruch blieb mir erspart. Die Stimme wurde unmerklich ein wenig dunkler, das war's. Während die anderen mit erfundenen oder tatsächlichen ersten Erfahrungen prahlten, tat sich bei mir bis auf eher zaghafte Küsse und Herumtasten unter anderer Leute Blusen auf Klassenfeten nix.

Meine Mom, die nur halb so alt wie mein Vater, hübsch und hedonistisch war, ließ es in den Jahren zwischen Scheidung und zweitem Gatten ziemlich krachen - in den ausgehenden 60ern, anbrechenden 70ern ging die Post mächtig ab.
Eines Tages erwischte ich sie mit einer anderen Frau im Bett - was meinem persönlichen Erotikon einen weiteren verstörenden Begriff hinzufügte: "lesbisch"!
Mein Gott - was es alles gab! Sexualität war ganz offensichtlich ein brandgefährliches Minenfeld.
Das Brittalein begann unterdessen, Mamis Kleiderschrank und, wenn sich die Gelegenheit ergab, die von Freundinnen oder Verwandten zu untersuchen, weil das Bedürfnis, herauszufinden, wie es sich in den Schuhen der Hälfte der Menschheit lebt, der sie sich immer deutlicher zugehörig fühlte, drängender wurde.
Dabei galt es mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen: Die Vorstellung, erwischt zu werden, gehörte zu den schrecklichsten Ängsten meiner Kindheit und Jugend.
Diese Mischung aus Angst und Wohlgefühl war aufregend, weshalb ich mich zuerst eher für einen Transvestiten (noch so ein frischentdecktes komisches Wort!), denn für transident hielt. Ich strich über Brüste, die sich nicht entwickeln wollten, klemmte, was sich schließlich doch ein wenig entwickelte, zwischen die Beine und betrachtete meine nun glatte, geschlechtslose Front, kokettierte mit dem androgynen Wesen, das mir da aus dem Spiegel deutlich entspannter und gelöster als im Alltag entgegenschaute. Das war durchaus so etwas wie Sexualität - Sex mit dem Menschen, den ich trotz aller Unzulänglichkeiten und Widersprüche am meisten liebte, dem allein ich vertraute, der meine geheimsten Geheimnisse, meine verborgensten Wünsche kannte - Mir.

Meine Mutter arbeitete von früh bis spät, ich war viel allein, wollte allein sein, ich las, verschlang Bücher, fraß Wörter, weil ich wußte, dass Sprache wie ein Schwert sein kann. Ein Schwert, das zu führen gelernt sein wollte, das es zu schleifen galt, meine einzige Waffe in einer bedrohlichen Welt voller Wölfe.
Meine schulischen Leistungen litten - naturwissenschaftliches Interesse ging mir völlig ab, Englisch und Latein waren zeit- und lernintensiv, Sport schwänzte ich, wann immer es ging - einzig in Deutsch und Geschichte war ich brilliant, und an Kunst hatte ich Spaß.
Mit meinem Vater wurde es dadurch schwieriger - wenn aus mir schon kein ganzer Kerl zu werden versprach, hätte er wohl wenigstens Erfolge in der Schule erwartet. War ich bei ihm, konnte ich mir endlose Vorhaltungen anhören oder wurde seinem Abhärtungs- und Körperertüchtigungsprogramm unterzogen, was so rein gar nicht fruchtete und nur zu weiteren Vorhaltungen führte.
Der einzig lustige Bestandteil war die Möglichkeit, Schießen zu lernen - mein Vater hatte berufsbedingt jede Menge Knarren und Britta fand das spannend; wohl nicht zuletzt, weil sie dafür echtes Talent aufwies.
Zuerst mit dem Luftgewehr auf Scheiben, Flaschen und Dosen, dann mit Walther PPK und Kleinkalibergewehr auch auf bewegliche Ziele. Einzig für die schweren Schrotflinten war ich mit meinen elf Jahren noch zu fragil.

Hauptbestandteil des recht simplen väterlichen Weltbilds war die Unterteilung in "nützlich" oder "schädlich". Maulwürfe verwüsteten den Rasen, wurden also gnadenlos mit Gift, Fallen oder Spaten eleminiert, Kreuzottern waren giftig und deshalb ihres Lebens in direkter Gartennähe nicht sicher, Spatzen machten Krach und fraßen den melodischeren Singvögeln das Futter aus dem Vogelhäuschen, während Drosseln zwar schön sangen, aber meines Vaters Vorliebe für Erdbeeren teilten, weshalb der den Garten zur drosselfreien Zone erklärte und das Brittalein dazu anhielt, dem nutzlosen Kroppzeug mit Pulver und Blei den Garaus zu machen.
Das tat sie dann auch brav, die Ellbogen bequem auf dem Schlafzimmerfensterbrett aufgestützt, durchs Zielfernrohr die Umgebung nach potentiellen Opfern scannend, weil es für jeden erlegten Schädling Anerkennung und eine Mark Blutgeld einzuheimsen gab.
Gewissensbisse hatte ich keine - die Viecher fielen ja einfach nur tot um und sahen auch aus der Nähe betrachtet nicht besonders anders aus als zu Lebzeiten: Ein- und Ausschuß hinterließen nur verwuschelte Stellen im Gefieder mit ganz wenig Blut.
Meiner Mutter erzählte ich davon nichts - die war Kriegskind und pädagogisch ambitionierte Kindergärtnerin, haßte Kriegsspielzeug und sinnloses Töten und ließ mich, als ich ihr schließlich doch davon sprach, monatelang nicht mehr zu meinem Vater.

Meine eigene Haltung änderte sich schlagartig, als ich eines Tages durch die Zieloptik zwar Federn stieben, den Spatzen aber gleichwohl auffliegen sah. Mein Vater meinte, ich hätte ihn verfehlt, ich aber sah ihn in etwa 100 Metern Entfernung am Waldrand niedergehen und bestand eigensinnig darauf, nachschauen zu laufen.

Spatzen sind mit ihrem graubraunen Gefieder zwischen trockenem Laub und Gras eigentlich nicht auszumachen - ich fand ihn dennoch, weil er just in dem Augenblick als ich eintraf, ein letztes Mal mit den Flügeln schlug.
Ich SOLLTE ihn wohl finden...
Jedenfalls nahm ich das kleine Tier vorsichtig in die Hand und sah zum ersten Mal und mit maßlosem Entsetzen, was ich vorher dutzendfach gedankenlos angerichtet hatte: Der Vogel war nicht nur einfach mausetot - er sah auch so richtig scheiße tot aus!
Die Kugel muß auf Höhe des Brustbeins eingedrungen sein, hatte Bauchdecke und große Teile der Eingeweide, sowie ein Beinchen weggerissen, das zweite hing nur noch an einer einzelnen Sehne. Wie das Tierchen mit derartigen Verletzungen überhaupt noch hatte fliegen können, ist mir bis heute ein Rätsel.
Ich war total erschüttert: Hatte wirklich ICH das getan?? Als ich wenig später zum ersten Mal Eschenbachs "Parzival" las, berührte mich die Szene, in der die Mutter ihn fassungslos um den mit dem Bogen erlegten Vogel trauernd findet, besonders stark.

Mein Vater war anfänglich ob der erfolgreichen Nachsuche begeistert, gab mir eine Mark extra, wurde dann aber mächtig sauer, weil ich nicht aufhören konnte zu flennen und ihm beschied, dass ich fortan nie, nie, niemals wieder auf Lebendiges zu schießen gedächte.
Zurück bei meiner Mom MUSSTE ich einfach davon erzählen. Die rief sofort meinen Vater an und kriegte sich furchtbar mit ihm in die Haare, weil er in keiner Weise einsehen mochte, dass man Elfjährige nicht zum Töten anhält und seinerseits Gift und Galle spuckte, weil meine Mutter mich seiner Meinung nach zum Waschlappen erzöge.
Jedenfalls mußte er fortan selbst die heimische Tierwelt dezimieren, schleppte mich aber noch mit zur Jagd, wo ich mich wenigstens als Treiber nützlich machen sollte. Das hatte erst ein Ende, als ich Zeuge wurde, wie einer seiner Spießgesellen einem Hasen die Hinterläufe wegschoß, und er dem wie ein Kind schreienden Tier (und Hasen schreien LAUT!) mit meinem Treiberstock den Schädel einschlagen mußte, was erst nach drei-vier Hieben gelang.
Ich übergab mich in hohem Bogen, was mein Vater hochgradig blamabel fand.
Von da an durfte ich mit Stiefmutter und kleiner Halbschwester das Haus hüten, wenn er seinen Mords-Spaß hatte.

Meine Mutter blieb eine ganze Weile voll des gerechten Zorns - aber ein wenig gaben ihr die Vorwürfe schon zu denken: hatte sie früher meine Mädchenhaftigkeit niedlich gefunden (entschädigte sie ein wenig für die Tochter, die sie nie bekommen hat), meinte sie nun, ein wenig Sport und etwas männlichere Interessen könnten mir nicht schaden.
Was?? Sport?? Little Me?? Never! Voltegiert hätte ich gerne - das aber war teuer und damals noch mehr als heute ein ziemliches Mädchen-Ding... Oder Tanzen vielleicht? Als eine Sportlehrerin an der Schule eine Tanz-AG anbot, in der sie auch Ballet zu unterrichten versprach, war ich sofort Feuer und Flamme.
Neben mir ließ sich nur noch ein weiteres XY-chromosomales Zellhäuflein auf dieses Wagnis ein - und so hüpften wir mit einem Schwarm Mädchen um die Wette, was zwar furchtbar Spaß machte (und Brittalein war da doch tatsächlich mal richtig gut!), aber auch nicht eben dazu beitrug, mein Ansehen bei meinen Mitschülern zu stärken, die sich an den Turnhallenscheiben die Nasen plattdrückten und sich köstlich ammüsierten. "Sterbender Schwan" war einer der noch witzigeren Kosenamen, die mir die nur wenige Monate währende Eskapade eintrug.
Weil meine Eltern aber weiter quengelten, ging ich schließlich zu den Pfadfindern: Zelten, Feuer zu machen und darauf dann zu kochen, fand ich cool. Mädchen hatte es da auch und ich kam erstaunlich gut zurecht.

Gar nicht zurecht kam ich hingegen in der Schule: Was mich nicht interessierte, wurde hartnäckig ignoriert, was Lernaufwand erforderte, fiel mangels Zeit und Lust hinten runter - ich war vollauf mit meinen inneren Welten beschäftigt, oder damit, Mitschüler und Lehrer mit meiner sich ständig selbstnachschärfenden Zunge in den Wahnsinn zu treiben.
Bis zur Quarta wurstelte ich mich noch irgendwie so durch - in der Achten aber ging ich dann mit Pauken, Trompeten und vier wohlverdienten Fünfen glorios den Bach runter.

Hätte mir eine Lehre sein können, war es aber nicht: Als das Halbjahreszeugnis ähnlich katastrophal zu werden versprach und die Rückstufung in die Realschule drohte, schleppte mich meine Mutter, die sich langsam nicht mehr sicher war, ob sie da nun eine hoffnungslose Doofbratze oder bloß ein stinkfaules Stück aufzog, zu einem Kinderpsychologen, um meinen Geisteszustand überprüfen zu lassen.
Der Test dauerte drei Nachmittage, war lustig, und zeitigte ein Ergebnis, dass man mir erst verschweigen wollte, dann aber doch mitteilte: 35 über'm Durchschnitt, nur 17 vom alten Einstein entfernt und mithin mehr als genug, um sich zum Abi zu mogeln, wenn man nur wenigstens mit einem halben Ohr dem Unterricht zu folgen bereit wäre.
Stinkfaul, renitent und lernunwillig also.
Das Familiengericht tagte und verurteilte das Brittalein einstimmig zu einer zeitlich nicht begrenzten Haftstrafe in einem Internat an der Ostseeküste.
Der fiel in ihrer kindlichen Einfalt natürlich nix besseres als "Hanni und Nanni" ein, weshalb sie sich auf diese aufregende Veränderung geradezu freute.

Los gings mit zwei Koffern, Bettdecke, Kopfkissen und Kuscheltier(!) - raus aus dem Feuer, geradewegs in die Bratpfanne!
Das Internat erwies sich als Ansammlung schmuckloser Gebäude nebst Kapelle direkt an der Strandallee - das Zimmer, in das sie mich steckten, war fast militärisch karg möbliert und von fünf anderen 13 bis 15-jährigen Drop-Outs bewohnt, die mich mißtrauisch musterten. Gleich in der ersten Nacht konnte ich dreimal mein Bettzeug im Vorgarten aufsammeln gehen, das die Widerlinge aus eben dem Fenster geworfen hatten, aus dem wenige Wochen zuvor mein Vorgänger gesprungen war, weil er die fortgesetzten Quälereien nicht mehr ertragen mochte.
Ein Sprung aus dem ersten Stock reicht selten, um sich den Hals zu brechen - für einen Beinbruch langte es aber und erfüllte so seinen Zweck: Heimatschuß quasi.
Mädchen gab es zwar auch, die wurden aber im "Mädchenhaus" unter Verschluß gehalten, während man mich ins "Alte Jungenhaus" pferchte (es gab noch ein "Neues Jungenhaus", ein "Haus an der Timme" und die putzige Kapelle, in die man uns dreimal die Woche zur Andacht trieb).

Britta, das schlaue kleine Ding, merkte schnell, wie der Hase lief, nahm Abschied von Hanni-und-Nanni-Phantasien und Kuscheltier (Hallo?? Ich war 14! Da geht so was nun wirklich gar nicht mehr!) und beschloß, sich von den doofen Jungs nicht unterkriegen zu lassen.
Die wiederum schlugen sie in der ersten Zeit oft genug windelweich - bis sie merkten, dass sie sie zwar mühelos vermöbeln konnten, aber anschließend so hartnäckig, nachtragend und zunehmend skrupellos von ihrer Revolverschnauze unter Feuer genommen wurden, dass sie bald keiner mehr mit der Kneifzange angefaßt hätte.

Das häßliche Entlein mauserte sich, wurde indess nicht zum Schwan, sondern mutierte zum giftig schillernden Reptil, zur präventiven Giftspritze, die Angriff für die beste Verteidigung hielt, nicht länger Opfer sein wollte und lieber andere trat, als selbst getreten zu werden.

Der Schwan, der ich hätte werden wollen, starb - was gut war in mir mußte sterben, wenn ich leben wollte.

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Freitag, 12. Februar 2010

Reasons to be Cheerful

- oder: wie einfach es doch ist, das Brittalein glücklich zu machen!

Bereits am 5ten Februar überraschte die wunderbare Lily mich mit einem quietschrosa Award!
Das war mein erster - und den vergißt man ja bekanntlich nie!
Seither brüte ich über der damit verbundenen Aufgabe, alle Welt wissen zu lassen, was mir ein seeliges Lächel aufs Gesicht zu zaubern im Stande ist.
Zehn Gründe gilt es zu nennen - und weil ich die nicht in eine Rangordnung stellen kann und will, führe ich sie in zufälliger Zusammenstellung und ohne Nummer auf:

• Worte finden. Wobei es mir gleich ist, ob ich sie selbst schöpfe oder kreativ aneinanderreihe - oder sie in Büchern, Filmen, Blogs oder Gesprächen auflese. Besonders schöne Exemplare stopfe ich in die dafür vorgesehene Schachtel zur gefälligen Weiterverwendung oder gelegentlichen Betrachtung.
Dem Pathologen zum Beispiel verdanke ich "Laichteile" - das kommt nicht in die Schachtel; das spieße ich mit einer Stecknadel auf ein Korktäfelchen und hänge es mir übers Bett!
Bei Herrn Neon klaubte ich "Prä-letale Beziehung" auf - ein vermutlich schwer recycelbarer Sprachbrocken, den ich gleichwohl sorgfältig verwahren werde. Wer weiß, wofür ich ihn noch mal brauchen kann!
• Schuhe. Nicht sehr originell - ich weiß. Aber Schuhe mag ich wirklich sehr und ich gerate vor Glück schier aus dem Häuschen, wenn ich ein besonders merkwürdiges Paar ergattern kann.
Alex sagt, ich hätte so viele davon, dass ich sie in diesem Leben selbst dann nicht auftragen könne, wenn ich den ganzen Tag auf allen Vieren ginge, somit zwei Paar gleichzeitig trüge... Pah!
• Meine felidoide Lebensgefährtin. Ich bin jeden Morgen aufs Neue beglückt, sie wohlauf und lebendig vorzufinden. Nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass das eigensinnige Fellknäuel seit bald 19 Jahren diese Welt vollfusselt und nicht nur Arthrose, sondern auch eine Nierenschwäche hat.
Spötter behaupten, sie wisse entweder eben einfach nicht, WIE alt sie in Wirklichkeit ist - oder sei lediglich zu faul zum Totumfallen. Quatsch!
• Meine Tochter (Vorsicht! Pathos!). Die ist das Wundervollste, was ich je gemacht habe. Sie aufwachsen zu sehen, sie ins Leben und in diese Welt begleiten zu dürfen, erfüllt mich mit stolzer Dankbarkeit.
• Meine Eltern. Meine Mom und mein Stiefvater waren und sind immer für mich da. Wenn ich bedenke, was ich den beiden im Laufe der Jahre alles zugemutet habe, stehen mir die Haare zu Berge. So viel Liebe, so viel Loyalität - das ist mir nicht selbstverständlich und wird es niemals sein.
• Ludwig van Beethoven. Wenn mir so richtig zum Heulen ist, lege ich die 7te ein. Jeeeesus - kann ich gut dazu flennen! Zum Sterben schön!!
• Mein Mann. Weil er mir den Halt gibt, nach dem ich mich sehne, die Führung, die ich brauche und mir doch genug Raum läßt, mich nicht eingesperrt zu fühlen. Hach, Schatz...
• Mein Garten. Ein kleines Eckchen auf diesem Planeten zu haben, auf dem man Terraforming betreiben und Pflanzen beim Wachsen zugucken kann, empfinde ich als unglaubliches Privileg. Wobei mein gärtnerisches Bemühen mehr darauf zielt, einen Eindruck liebevoller Verwahrlosung zu erreichen, als darauf, akkurate Rabatten und englischen Rasen vorweisen zu können.
• Das-viel-zu-große-Haus - auch liebevoll "Mördermuschel" genannt, weil die Front eine riesige Stuckmuschel ziert. Mördermuschel auch, weil man, wenn man einmal da hineingeraten ist, nicht so leicht wieder herauskommt. Das ist nicht einfach eine Behausung - das ist auch eine altehrwürdige Zeitmaschine: Baujahr 1905, geräumig, hell und großzügig - dabei aber auch von leicht morbidem Charme. Japaner nennten es wahrscheinlich wabi-sabi-mono. Dieses Haus lebt, es umhüllt uns, hält uns warm wie ein Kokon - dafür verlangt es uns aber auch höchste Aufmerksamkeit und große finanzielle Opfer ab.
• Emotion und Erkenntnis. Diese ungleichen Schwestern führen bei mir immer wieder zu erheblichen Glücksgefühlen. Wobei ich die besten Erkenntnisse meinen Emotionen verdanke, Erkenntnisse aber auch häufig zu starken Emotionen führen. Ich habe mich lange nur auf mein Hirn verlassen - seit ich es erfolgreicher mit meinem Bauch synchronisiere, werde ich icher.

Der Sonderpreis geht diesmal an die Pharmaindustrie, die mir nicht nur durch gefährlich depressive Phasen meines Lebens half und gelegentliche Erkältungsbeschwerden linderte, sondern auch meinem Mädchenhirn seit Jahren die Botenstoffe garantiert, die mein Jungskörper ihm verweigert. ;-) 

Oh! Nun gilt es noch, diesen Award, der ja gleichzeitig ein Stöckchen ist, weiterzuwerfen:
Erst wollte ich Sissy damit beglücken (schon, weil das einfach ihre Farbe ist!), dann kam mir aber der Gedanke, dass sie - bei allen Problemchen und Problemem - ein ziemlich glückliches Menschenkind zu sein scheint, dass vielleicht viiiiiel mehr als bloß zehn Gründe, glücklich zu sein benennen könnte.

So geht der Award nach reiflicher Überlegung an Mrs. Mop, die in schwieriger Situation weder Spiel- noch Spültrieb aus den Augen verliert, die Ärmel aufkrempelt und ihr Leben beherzt in die Hand nimmt.
Da kann es nicht schaden, auch immer mal wieder über persönlich Beglückendes nachzudenken und es dann der Mitmenschheit mitzuteilen!
You go, girl! Tritt dem Schicksal in den Arsch, dass der rote Schuh stecken bleibt! :-)))

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Donnerstag, 11. Februar 2010

Parzivalerina

- vom Wald in die Welt

(Heute stieß Alex beim Unterlagensortieren auf das Testament meines Vaters. Darin ist nicht nur der Nachlaß geregelt, sondern auch wortreich beschrieben, was für eine bittere Enttäuschung ich für ihn war. Alex fand das lustig und zitierte fröhlich daraus - und plötzlich war alles wieder da... plötzlich war ich wieder das kleine, unglückliche, verzweifelt auf die Liebe seines Vaters hoffende Kind.
Nachdem ich so ein Stündchen vor mich hin geflennt hatte - der arme Alex wußte gar nicht, was er tun sollte und verzog sich still - beschloß ich, mir das endlich mal von der Seele zu schreiben. Wird wohl länger... und eher in zwei oder drei Teilen)


Als Britta klein war, war sie genaugenommen noch gar nicht Britta. Sie war "Babyspätzchen"... oder "Männlein(!)"... bei ihrem richtigen Namen rief man sie eigentlich nur, wenn Unheil drohte, weil sie mal wieder was angerichtet hatte. Aber so macht man es wohl mit allen Kindern.
Anders als die anderen Kinder lebte sie allerdings mitten im Wald. In einem Naturschutzgebiet im Osten Hamburgs, in einem wunderschönen Blut-und-Boden-Blockhaus, das ursprünglich ein niedriges Grasdach hatte, das sie aber nur noch mit aufgesetztem Stockwerk und Strohdach erinnert. Dieses Haus gehörte zu einem Ensemble ähnlicher Häuser, das in braunen Zeiten so etwas wie ein norddeutsches Wandlitz für die Nazi-"Elite" war, die sich bevorzugt in diese Idylle zurückzog, wenn in Hamburg die Feuerstürme tobten.

Ich bin also in Gauleiter Kaufmanns ehemaliger Datscha aufgewachsen. In einem Graben fand ich einen Stahlhelm der SS-Wachmannschaften, den ich eine Weile als Spielkochtopf benutzte, bis meine Mutter ihn entdeckte und mit spitzen Fingern in den Müll trug.
Weltfern, weitab von allem. Ein wenig wie Parzival.
Nur, dass mein Vater nicht im Heiligen Land gefallen war (wie schade!), sondern nach Dienstschluß und leider auch am Wochenende bei uns vorbeischaute.
Außer meiner Mutter und mir lebten da noch unsere Hauswartsleute und, etwas entfernt, der Forstwart und die Familie des gegenwärtigen Ersten Bürgermeisters. Der und der Sohn des Forstwarts waren etwa vier Jahre älter als ich und die einzigen erreichbaren Gören im Umkreis von acht Kilometern, weshalb ich deren Quälereien (nix Wildes - was ältere Kinder mit Kleineren eben so anstellen) meist klaglos ertrug - außer meinem Hund und meiner Mutter hatte ich sonst wenig Zerstreuung.

Warum ich das alles erzähle? Die seltsamen Lebensumstände der ersten fünf Jahre sind wohl der Grund, warum ich mir nicht allzuviel Gedanken darum machte, ob ich denn nun Fisch oder Fleisch sei... Ich fühlte mich nicht als Junge. Aber irgendwie auch nicht als Mädchen.
Ich war irgendwie so... gar nichts. Ein Kind eben. Ein Kind allein unter lauter Erwachsenen (Harald und Ole, die netten Bullies von nebenan, zählten für mich auch zu den "Großen"). Ich hatte nichts, woran ich mich direkt hätte abgleichen können.
Geschlecht war etwas Abstraktes, äußerlich Anzuwendendes, weshalb ich meiner Mutter auch eines Tages kundtat, dass aus einem Jungen ein Mädchen würde, wenn man ihm nur die Haare nicht schnitte - und umgekehrt.
Alle sagten, ich sei ein Junge, also nahm ich das erst mal einfach so hin. Meine Haare waren ja kurz und als ich dann mit fast fünf im Kindergarten tatsächlich mit echten, anderen Kindern in Kontakt kam, lernte ich, dass Jungs keine roten Strumpfhosen anziehen. Woher hätte ich das wissen sollen? Das wollte ich dann auch sofort nicht mehr, weil ich nicht "anders" sein wollte. Weil ich nicht auffallen mochte,
Ich fand in keiner Weise seltsam, dass mich zwar brennend interessierte, wie man sich als Gretel, Aschenputtel oder König Drosselbarts Frau wohl so fühlen mag, mich aber völlig kalt ließ, wie es den Hänsels, Prinzen und König Drosselbärten dieser Welt erging. Was die umtrieb, war mir nicht bloß ein Rätsel - es erschien mir auch nicht als relevant für meine Erlebenswelt.

Ich muss ein ziemlich seltsames, weltfremdes, introvertiertes Geschöpf gewesen sein.

Mein Vater fand das auch. Er bemühte sich zwar, konnte aber nicht wirklich etwas mit mir anfangen. Ich wollte nicht fußballspielen, mochte weder Autos, noch Technik und saß lieber stundenlang allein in meiner Sandkiste und baute dort kleine Feenhäuser.
Mein Vater fand mich zu weich. Weinerlich, weibisch und versponnen. Außerdem in hohem Maße ehrgeizlos - und ließ keine Gelegenheit aus, mir das auch deutlich zu verstehen zu geben.
Er war eben hochdekorierter Kriegsheld, Ex-Landjunker und Oberforstmeister, und konnte nicht verknusen, dass da vor seinen ungläubigen Augen etwas heranwuchs, das nicht hart wie Kruppstahl oder flink wie ein Windhund zu werden versprach, sondern eher an "Försters Pucki" erinnerte.
Was ja irgendwie auch paßte.
Wahrscheinlich liebte ich diese unsäglichen Bücher deshalb so, als ich endlich lesen konnte.
Oder auch, weil sie eine heile Welt beschrieben, die es für mich allenfalls gab, wenn mein Vater nicht zuhause war.

Ich würde meine Kindheit sicher nicht als über die Maßen "schwer" bezeichnen - er schlug uns zum Beispiel nicht besonders oft und war auch nie betrunken (vermutlich, weil er nüchtern einfach besser traf), verbreitete aber eine Atmosphäre der Angst oder doch zumindest des Unbehagens, die wirklich bedrückend und zermürbend war. Als er meiner Mutter wieder einmal die Nase blutig geschlagen hatte - das obendrein vor meinen Augen und natürlich aus rein pädagogischen Gründen (was vergißt die dumme Kuh auch, das neue Telefonbuch abzuholen?) - hatte die nach acht Ehejahren endlich die Faxen dicke, reichte die Scheidung ein, packte mich und ein paar Koffer und zog hinaus in die weite Welt.

Die weite Welt begann gleich auf der anderen Seite von Hamburg und bestand aus reichlich unansehnlichen Mietskasernen in einem tristen Neubaugebiet, das mir aber neu, aufregend und vor allem: voller Kinder! erschien. Was auch ein bisschen verstörend war... ich war ja bislang menschliche Gesellschaft nur in eher homöopathischen Dosen gewohnt.
Auf der einen Straßenseite hatte es reiche Kinder (dort bauten sie nämlich schnieke Bungalows um einen ehemaligen Baggersee) - auf der anderen, der unseren, lauter fröhliche Unterschichtsgören: Försters Pucki allein unter Wilden!
Die Jungs waren grob und laut, fuhren Fahrrad, Roller oder Kettcar; die Mädchen waren zwar auch laut, aber nicht ganz so grob und spielten so faszinierende Sachen wie Gummitwist und Vater-Mutter-Kind.
Also spielte ich mit denen. Jedenfalls, wenn sie mich ließen.
Ich hatte immer noch keinen rechten Plan, was Jungs von Mädchen eigentlich unterscheidet und vor allem absolut keine Ahnung, was man als Junge tun MUSS, oder besser LÄSST.
Als keine gute Idee zum Beispiel erwies sich, auch Jungen zu einem Puppengeburtstag einzuladen. Nach reichlich Hohn und Spott tauschte ich schweren Herzens Mutters alten Schildkröt-Puppen gegen geschlechtneutrale und weniger übelbeleumundete Stofftiere aus, um ungestörter mein Fürsorgebedürfnis ausleben zu können.
Doof war auch, leider so gar kein Ballgefühl und eigentlich auch nicht die geringste Lust, das irgendwie zu lernen, aufzuweisen. Selbst wenn ich mehr mit Jungs hätte spielen wollen - die fanden mich nutzlos und irgendwie komisch. Ein paar Freunde hatte ich trotzdem: meist unsportlich wie ich oder mit anderen Mängeln behaftet, weshalb sonst keiner mit ihnen spielen wollte.
Bis zum Eintritt in die Grundschule hatte ich nicht wirklich viel begriffen. Naiv und weltfremd wie Parzival in seinem Narrenkostüm dackelte ich nichtsahnend mit frischgekauftem Turnzeug zur ersten Sportstunde.
Schon der von meiner Mutter selbstgenähte karierte Beutel, in dem es sich befand, erregte Heiterkeit (meine Mom hatte wirklich wenig Geld - so war fast alles an mir selbstgenäht, selbstgestrickt und selbstgebastelt). Die Wogen des Frohsinns - natürlich mal wieder auf Brittaleins Kosten - schlugen aber erst so richtig hoch, als ich mich umgezogen hatte - und entsetzt feststellen mußte, dass alle Jungs blaue Turnhosen und weiße Hemden anhatten, die Mädchen hingegen schwarze Unterhemdchen und Höschen aus Feinripp trugen (war damals halt so!) - Britta, deren sparsame Mutter zum billigeren Mädchenzeug gegriffen hatte, leider auch.
SHIT! Ganz blöde Nummer. Und ein weiterer Punkt auf meiner stetig wachsenden Liste geheimnisumwitterter Geschlechtsunterschiede.

Erst etwa zwei Jahre später der nächste Eklat, als Mitschüler mich in der Umkleide spöttisch fragten, ob ich die Unterwäsche meiner Schwester trüge.
Öh?? Nein?? Ich hätte gar keine Schwester, entgegnete ich entgeistert - und endeckte zu meinem Entsetzen, dass, was mir bis dato überhaupt nicht aufgefallen war, alle Jungs - außer mir! - Slips mit diesem typischen Eingriff trugen, wohindurch - wie ich zu meinem Erstaunen erfuhr - es galt, den kleinen Unterschied zu fädeln, wollte "Mann" in stolzem Bogen sein Wasser abschlagen.
Hmm... die Welt war bunt und voller Wunder für das kleine Brittalein, dass es gewohnt war, sich auch fürs kleine Geschäft artig hinzusetzen, weil die Mami nicht nur extrem sparsam war (Mädchenunterhosen waren eben billiger - dafür müssen erwachsene Frauen zur Strafe später goldene Berge für halbwegs tragbare Dessous berappen), sondern auch recht reinlich, aber nicht willens, täglich rund ums Klo zu wischen, wenn es doch sonst keinen Mann im Haus gab, der das Bad großräumig fluten konnte.

Ich blieb volle sechs Jahre mit meiner Mutter allein, bis es der endlich gelang, den besten Stiefvater der Welt zu umgarnen und unserem "Mädelshaushalt" einzuverleiben. Bis dahin blieb ich, die ich mich allenfalls alle paar Wochen auf die große Reise zu meinem allein im Wald zurückgelassenen Vater machte, von männlichen Rollenvorbildern verschont.
Zu dem Zeitpunkt, mit elf etwa, konnte ich Kochen, Putzen, Backen und mit der Nähmaschine umgehen, hatte aber nicht die geringste Ahnung, wie man ein Fahrrad flickt oder einen Nagel in die Wand schlägt.

(Wird fortgesetzt. Bilder kommen noch, müssen aber erst gescannt werden. Und die zehn Dinge, die mich glücklich machen, habe ich nicht vergessen - die liefere ich nach)

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Montag, 8. Februar 2010

Rap-Huhn rockt!

- völlig ausser der Reihe ... 

Heute morgen wäre ich beim Stöbern in des Rasenden Rebhuhns Blog fast eines jähen Todes gestorben - die Koffeinassimilation nahm einen gänzlich unerwarteten Verlauf...
Deshalb hier zur Strafe ein Bild, dessen weitere Verwendung ich mir gut als hiermit neugeschöpften Award für herausragende Schusseligkeiten vorstellen könnte:


Aber vermutlich müßte ich mir den eh permanent selbst verleihen... *seufz*
Genaugenommen habe ich das seinerzeit MIR zu "Ehren" gebastelt, als ICH mal wieder überaus guten Grund hatte, an meinen intellektuellen Fähigkeiten zu zweifeln. Was das genau war, sage ich nicht - ich krieg nämlich heut' noch rote Ohren, wenn ich nur daran denke.

Frau Rebhuhn - Sie haben mir den Tag (und, weil ich meinen Kaffee mit Zucker zu nehmen pflege, einen nicht unerheblichen Teil meiner Bronchien!) versüßt.
Betrachten Sie sich also als erste Trägerin des

"Schusseln muss das! - Ordens" 

mit Eichenlaub, Schwertern und Rückholbändchen 
- quasi ein "Darwin-Award-light" für Überlebende.

Fühlen Sie sich herzlich eingeladen, dieses Bildchen, dessen Copyright bei mir liegt, anderen würdigen Aspiranten und Aspirantinnen um die Ohren zu hauen! *strahlt generös*

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Sonntag, 7. Februar 2010

Weltpuschligkeitstag ...

- bloggosphärische Stilblüten

Beim Wandern durch die wunderbare Welt virtuellen Wahnsinns stieß ich auf Frau Fellmonsterchen und ihren aufopferungsvollen Kampf für mehr Flausch im Alltag.
Da scheine ich doch wahrhaftig über eine Schwester im Geiste gestolpert zu sein, die nicht nur, gleich mir, bekennende Flausch-Fetischistin, sondern auch frischgebackene Award-Inhaberin ist.
Ich nämlich bin seit vorgestern gleichfalls stolze Besitzerin eben dieser cup-cake-cuten Köstlichkeit, die ich der von mir sehr verehrten Lily verdanke! *stolzguck*

Nein, echt: Award is Award is a Wahnsinn - ich brüte schon die ganze Zeit nicht nur über der Frage, welcher Bloggerin (einem Mann brauch ich mit dem Ding wohl eher nicht zu kommen...) ich diesen quietschrosa Wanderpokal auf's Auge drücken kann, sondern auch über der damit verbundenen Aufgabe, zehn Dinge zu benennen, die mich glücklich machen (Nein, Schatz! Noch einmal deutlich und in aller Öffentlichkeit: ich will NICHT zehnmal immer nur das Eine - ein ganz klein wenig on top erwarte ich mir schon vom Leben! *bg*).

Aber zurück zum Wesentlichen: zum Weltpuscheligkeitstag!

Deshalb hier und heute ein Bild, das zwar schon über zehn Jahre alt, aber immer noch fester Bestandteil meiner Favoriten ist. Ich möchte betonen, dass ich - attestierte Kitschqueen hin oder her - SO natürlich selbst in den späten 90ern NICHT einfach so herumgelaufen bin (was bei der Jacke immer die Gefahr geborgen hätte, einem Hundefänger ins Netz zu geraten), das Outfit vielmehr als Hommage an die Spice Girls gedacht war, die ich - was mir heut' auch ein bissi peinlich ist - damals sehr gemocht habe.
Zigazig ha!!! :-))








Auch kamen mir aus diesem Anlaß meine Vintage-Retro-Yeti-Après-Ski-Stiefel in den Sinn, die ich auch sogleich gesucht und gefunden habe: Now - ain't THAT puschelig???

Die sind original roaring 70ties, aus Tibetziegenfell und leider von kreisrundem Haarausfall (nicht etwa Testosteron-, sondern entsetzlicherweise MOTTENbedingt! *kreisch*) befallen - was aber gar nicht wirklich auffällt.
Wer nun denkt, dass derlei Schuhwerk genau das Richtige für stundenlange Winterspaziergänge sei, irrt: Die eignen sich allenfalls für's dekorativ vor Skihütten herumlungern und Jagerlteeschlürfen. Schon nach kurzer Zeit verwandeln die sich nämlich in massive Eisklötze, die das Vorankommen zu einer reichlich unbeholfenen Angelegenheit machen... *seufz*



Und wo wir gerade bei unsäglichen Geschmacksverirrungen sind und mir ja bekanntlich NIX fies ist:

Diese Beauties, die zwar wohlig-warm und suuuper-gemütlich, aber eigentlich nicht ungeschützten Auges zu ertragen sind, habe ich mir weiland extra aus Neuseeland (gewachsenes Lammfell! Gibt - so rein puschenmäßig - nix besseres!) kommen lassen, weil die in ganz Europa nicht zu kriegen waren.
Doris Day würde sie mir gewiss von den Füßen reißen. Die stutenbissige Kuh! ;-))
Weil die so schwer zu kriegen sind, trage ich sie nur an hohen, kirchlichen Feiertagen... für die tägliche Fron habe ich die noch mal in himmelblau. Schon entsprechend abgeliebt - das Los aller Kuscheltiere. *grins*





Und eigentlich völlig off-topic, aber eben auch sooo waaay cuuute:
Der jüngste Geniestreich der Nagelfee!

Très Chic, was?? Alex ist natürlich mal wieder der Verzweifelung nahe und geht mit mir nur noch vor die Tür, wenn ich Handschuhe trage... :)=)
*strahlt wie Honigkuchenpferd*
















So. Das gilt es jetzt ja erstmal alles zu verarbeiten.
Meine 10 Reasons-to-be-Cheerful (und auch die nächste Glückliche, die sich zur Freude der Gemeinde öffentlich entblättern darf) stelle ich nächster Tage ein! :-)

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