Freitag, 30. Juli 2010

Doch-doch-doch-doch!

Nr. 5 lebt!

... zumindest, wenn man rein physische Gesichtspunkte für diese Aussage heranzieht. In Abwandlung eines sattsam bekannten Slogans könnte man auch "Lebst du noch? Oder wohnst du bloß?" fragen.
Mein letzter Eintrag in meinem eigentlich heiß und innig geliebtem Blog datiert vom 31ten Mai - und ebenso lange war ich auch kaum noch im übrigen Netz unterwegs. Selbst Mails konnte ich nur noch alle paar Wochen abrufen.
Das hat keinen bestimmten, bestimmbaren Grund - resultiert eher aus einer ganzen Gemengelage unterschiedlichster Widrigkeiten.

Eine eher angenehme (kann es angenehme Widrigkeiten geben??) ist der Umstand, dass wir einen Sommer haben, der diesen Namen auch verdient. Und wie in jedem Sommer verbringe ich endlos viel Zeit im Garten, was einerseits wundervoll ist, weil ich den Garten so liebe, andererseits jede Menge Arbeit bedeutet, damit das auch so bleibt. Unser Garten ist zwar mit 800 qm nicht wirklich riesig, aber doch recht pflegeintensiv.

Wesentlich unerfreulicher ist das nahezu unentwirrbare Gestrubbel technischer Probleme. Schon vor Monaten starb mein Laptop den plötzlichen Hitzetod. Hallo?? Siemens Celsius - rein namenstechnisch hätte ich da eine höhere Temperaturtoleranz erwartet! Schuld offenbar: unsere betagte Katze, die ihre mürben Knochen gern mal auf der Tastatur zu wärmen pflegte und im Gegenzug durch regen Haareintrag dafür sorgte, dass es auch der Hauptplatine ja nicht zu kühl zu werden drohte.
Weil wir gerade nicht wirklich im Geld schwimmen, werde ich mir noch eine Weile mit meinem eigentlich längst ausgemusterten Uralt-Laptop, an dem das deutsche Museum schon starkes Interesse bekundet hat, behelfen müssen. Oder eben mit dem alexianischen Macbook, an dem ich gerade sitze - und ich mag Macs nicht so. Mist.

Auch nicht lustig: unsere Bemühungen, einen bekannten Telefonanbieter zur Schaltung eines neuen Anschlusses zu bewegen (was endlich auch wieder einen eigenen Router fürs Erdgeschoß bedeuten würde) - seit bald sechs Monaten geht das nun hin und her. Zwei Aufträge haben die schon so hoffnungslos verstrubbelt, dass jetzt ein dritter, neuer angelegt werden musste. Liegt wohl ein wenig auch an meiner Starrsinnigkeit - ich hätte nämlich gern ganz unbedingt meine alten Nummern wieder. Ein für den Provider mit dem klangvollen Frauennamen offenbar schier unlösbares Problem.
So lange die da vor sich hin prutscheln, habe ich weder ein eigenes Telefon, noch eine halbwegs stabile Verbindung ins Internet, weil ich mich an das Kanzleinetz im ersten Stock hängen muss. Toll.
Zu allem Überfluss musste Alex die Kanzlei umstrukturieren - jetzt ist der Router, der so schon eher aus der Ferne grüßte, an den absolut entferntesten Ort verzogen, den er zu meinem bevorzugten Surfstandort einnehmen konnte. Die Verbindung ist miserabel - meine Laune entsprechend - und eine baldige Besserung ist nicht in Sicht.
Mittlerweile hat sich ein enormer Rückstau an unbeantworteten Mails und Dingen, die ich schon längst hätte tun wollen oder sollen, gebildet - und wie immer, wenn etwas nicht so läuft, wie das Brittalein sich das ausgedacht hat, beginnt es zu prokrastinieren.
Morgen... morgen schreib ich was... ganz bestimmt!
Wenn ich dann noch Mails entdecke, aber, da die Verbindung gleich wieder abbricht, nicht sofort beantworten kann, wird alles noch schlimmer, weil dann auch gleich schlechtes Gewissen aufkommt - DER Betriebsstoff für Prokrastination schlechthin. Schrecklich...

Und als wenn das alles noch nicht übel genug wäre, quälen wir uns auch noch mit jeder Menge anderer Probleme herum. Die schon angedeuteten Finanzen (ganz unerfreulich, wenn der Haushaltsvorstand attestierter Adrenalinjunkie ist), die Kinder (kleine Kinder, kleine Sorgen; große... ach, was soll's) und - last but most definitely NOT least! - mächtig Reibung, die unserer speziellen Situation geschuldet ist.

Das ist aber unbedingt ein eigenes Posting wert, was ich vorhabe, demnächst in Angriff zu nehmen.

Demnächst. Ihr versteht?
Demnächst - der achte Wochentag. Der Tag, an dem der liebe Herrgott nicht etwa ruhte, sondern sich gepflegt der Prokrastination hingab.

Bis dahin lasst mich euch versichern, dass natürlich alles noch viel schlimmer hätte kommen können, Polen ganz sicher noch nicht verloren ist, das Brittalein zwar leidet - aber auf gewohnt hohem Niveau! ;-)

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Montag, 31. Mai 2010

Rabeneltern!

Luftschlacht um Uetersen!

Weil ich irgendwie meiner hartnäckigen Schreibblockade zu entfliehen trachte, aber, da bei uns - bei mir - gerade so viel passiert, gar nicht weiß, wo anfangen, schreibe ich halt über heimische Flora und Fauna. So! ;-)

Der florale Teil besteht in diesem Fall aus einem etwa 100-jährigen Birnbaum in unserem Garten (so alt wie das Haus und komplett mit Efeu überwachsen) - den Vertreter der Fauna stellt der lärmende, aber gleichwohl überaus liebenswerte Stamm der Corvus Corone (vulgo Aas- oder Rabenkrähe) in Gestalt eines frierenden, immer hungrigen und offenbar tödlich gelangweilten Krähenkindes.
Das nämlich sitzt seit Samstagmorgen, fast flügge und daher wohl so um die 30 Tage alt, auf dem obersten Sproß des erwähnten uralten Obstholzes und wird wohl bald verwaschen grau aussehen, weil es zwischen all den Schauern kaum Zeit zum Trockenschütteln und -putzen findet.
Uns (und besonders mich, die ich das Privileg hatte, etwa fünf Jahre lang eine halbblinde Krähe zu päppeln) dauert das sehr. Wir können aber nichts tun: Das verfrorene Viecherl thront etwa acht Meter über dem Boden und ist damit unserem sorgenden Zugriff zuverlässig entzogen.
Eigentlich müssen wir aber auch gar nichts tun, weil die Altvögel regelmäßig nach dem Rechten schauen und auch füttern - es ist üblich, dass Krähenjunge kurz vor flügge aus dem Nest kegeln und dann halt da weiterversorgt werden, wo sie gelandet sind.
Krähen - wie alle Rabenvögel - sind nämlich entgegen landläufiger Meinung außerordentlich liebende Eltern, die im Zweifelsfall eher selbst verhungern, als dass sie die Brut darben ließen und diese zur Not mit dem eigenen Leben verteidigen.

Ein Paradebeispiel dafür bot sich uns heute Morgen, als wir im Garten standen und plötzlich ein Graureiher zum Greifen nah über uns hinwegzog, dabei dem Jungen bis auf etwa einen Meter nahekam.
Pfeilschnell und wie aus dem Nichts waren die Eltern zur Stelle und attackierten den entsetzten Reiher so heftig, dass der wie eine Rakete davonzischte und künftig wohl die Umgehungsroute fliegen wird.
Wer Krähen kennt, weiß, dass denen wirklich nix fies ist und dass sie sogar Menschen auf die Hörner nehmen, wenn sie Gelege oder Nestlinge in Gefahr wähnen. Habichte, die sich gern an Krähenküken gütlich tun, auch Bussarde, werden sogar prophylaktisch angegriffen und sehen, trotz Größen- und "Waffen"vorteil, selten eine Schnitte in so einer Auseinandersetzung.

Mein "Krähisch" ist zwar ein wenig eingerostet und hat auch damals meinen sehbehinderten Corviden nicht eben von der Stange gehauen, aber ich krächze dem kleinen schwarzen Desperado dennoch unverdrossen etwas vor und werde mittlerweile sogar gelegentlich einer Antwort gewürdigt.
Das arme Ding muss sich wirklich sehr, sehr langweilen... ;-)

Der Begriff "Rabeneltern" kommt übrigens von der Angewohnheit junger Raben, praktisch rund um die Uhr zu quengeln und wie am Spieß zu schreien - weshalb die Menschen früher glaubten, die Altvögel ließen sie hungern...

Nachtrag: Als ich eben in den Garten kam, um ein eventuell besseres Bild zu machen, hatte der kleine Dinosaurier gerade beschlossen, es doch mal mit Fliegen zu probieren! 
Weg isser - in ein hoffentlich erfülltes Corvidenleben, das ja immerhin gut 40 Jahre währen kann! :-)

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Dienstag, 20. April 2010

Alex aus der Asche

- Britta allein zu Haus? Aber nicht mehr lange! :)=)

Ha! Mein Mann, der letzten Donnerstag ja uuunbedingt noch zehn Minuten vor Schließung des Luftraums geschäftlich nach Malloooca mußte und eigentlich Sonntag schon wieder hier sein sollte, hat es tatsächlich geschafft, einen der wenigen Flieger nach Berlin zu entern!
Hat bestimmt "Lassen Sie mich durch - ich bin Anwalt!" gebrüllt.
Oder gedroht, den Verkehrsminister zu verklagen.
Ich sah mich ja schon vor meinem geistigen Auge mindestens bis zum Wochenende angstvoll und einsam auf der bedrohlich schrumpfenden Haushaltskasse sitzen.
Puuuh...Was bin ich froh, dass der Kerl wieder im Lande ist!
Gleich fahre ich ihn von Bahnhof abholen, ehe er mir noch in Hamburg verschütt geht.

Wehe, er hat mir nicht wenigstens ein Tütchen Vulkanasche mitgebracht! *strahlt wie ein Primelpott*

... Und da sage noch einer, ich könne nicht tagesaktuell bloggen! Pffff! :-)))

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Montag, 12. April 2010

Homecoming Queen

- wie Britta schließlich tatsächlich ihre Unschuld verlor. 
Und sogar ein bisschen blutete!

(ich weiß schon, dass "Homecoming Queen" eigentlich etwas ganz anderes meint - konnte dem Wortspiel aber nicht widerstehen)
Hier also Teil 7 - hat diesmal ein bisschen gedauert. Haupsächlich, weil ich es schwierig finde, die folgenden Ereignisse zu strukturieren, ohne all zu langatmig erklären zu müssen. Und weil jetzt langsam die Dinge anstehen, über die zu schreiben mir ein wenig peinlich ist... 

Britta kehrte also ohne jedes Bedauern der ostholsteinischen Provinz den Rücken und lief nach kurzer Akklimatisierungszeit über die Sommerferien nun nicht gerade im Triumph, aber doch hoffnungsfroh bei eben der Schule auf, von der sie zweieinhalb Jahre zuvor fast geflogen wäre.
Es hätte wohl die Möglichkeit bestanden, noch ein Jahr auf dem in Abwicklung befindlichen Internat zu bleiben und sich dann bis zum Abi in Timmendorf ein Zimmer zu mieten - aber Britta wollte einfach nur weg, weg, weg und wieder nach Hause.
In Schenefeld galt es erst mal, sich zwischen sprachlichem oder naturwissenschaftlichem Zweig zu entscheiden - das Ostseegymnasium hatte bereits die reformierte Oberstufe eingeführt, hier stand das erst fürs nächste Jahr zu erwarten.
Ein echtes Dilemma: Der sprachliche Zweig hätte bedeutet, zu Englisch und Latein noch Französisch dazuzunehmen, der naturwissenschaftliche barg das Risiko, dass die deutlich aufgebohrten Anforderungen in Mathe und Physik über Brittas nur durch heftiges Pauken erreichtes Niveau hinausgehen würden.
Mut zur Lücke: Britta wählte letzteres (auch, weil sie hoffte, damit weiterer Vermännlichung Vorschub leisten zu können) - und scheiterte erwartungsgemäß schon auf den ersten Metern.

Sobald klar war, dass nur die refomierte Oberstufe mit ihren zahlreichen Möglichkeiten, ungeliebte Fächer auf ein Minimum zurückzufahren oder sogar ganz abzuwählen, ein einigermaßen amtliches Abitur gewährleisten würde, lehnte ich mich entspannt zurück und legte so etwas wie ein inoffizielles Sabbatjahr ein. Die "Wiedereingliederung" war schwer genug und nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch: Erst jetzt wurde mir bewußt, wie sehr ich mich verändert hatte - meine alten-neuen Klassenkameraden erkannten mich kaum wieder. Schon vorher nicht eben einfach im Umgang, war es nun nahezu unmöglich mit mir auszukommen. So etwas wie Beißhemmung kannte ich nicht und fiel aus Gewohnheit, Angst oder auch nur zum Spaß verbal über jeden her, der mich nicht weiträumig umfuhr. Ruck-zuck war ich komplett isoliert und begann mir Gedanken zu machen, ob es wirklich der richtige Weg war, wie ein offenes Messer durch die Welt zu fräsen. Einen wirklichen Versuch, mich in die Klassengemeinschaft zu integrieren unternahm ich nicht, weil eh schnell klar war, dass ich ein Jahr zurückgehen würde.

Die einzigen Schenefelder, zu denen ich auch in der Verbannung Kontakt gehalten hatte, waren B. und M. - beide ein Jahr älter, deshalb keine Schulkameraden und auch eher seltsame Zeitgenossen, die sich wie ich weder für Fußball, Autos, noch tolle Frauengeschichten interessierten. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, tranken Tee, hörten Carole King, Cat Stevens oder Leonard Cohen und redeten über Gott und die Welt.
Das ganze absolut ohne die üblichen Hahnenkämpfe, ohne Aufschneiderei, ziemlich emotional und eigentlich mehr wie unter Mädchen - kein Wunder: beide waren, wie ich später herausfand, stockschwul.
Wenn ich auch noch weit davon entfernt war, mich den beiden zu offenbaren, so kam ich doch langsam wieder in Kontakt zu meinen Gefühlen, meinen weichen Anteilen. In ihrer Gesellschaft brauchte ich keine Angst zu haben, mußte nichts beweisen - ich habe mich selten so sicher und gut aufgehoben gefühlt.

In der Schule war ich in diesem Jahr eigentlich nur körperlich anwesend, träumte so vor mich hin - und wartete.
Aber irgendwie schien die ganze Welt zu warten: es war 1976, die Hippy-Ära ging zu Ende, Punk stand in den Startlöchern, die RAF bombte sich dem deutschen Herbst entgegen oder starb in Stammheim.
Ich war 17 und unterlag damit plötzlich der Wehrüberwachung - ein befremdlicher Gedanke.

Warten. Auf die Studienstufe, die Volljährigkeit, die Musterung, vor der ich mich fürchtete, weil ich auf keinen Fall zur Bundeswehr wollte, aber nicht wußte, mit welcher Strategie ich der Schule der Nation am besten entgehen könnte.
Warten auch auf Klarheit in Bezug auf meine geschlechtliche Situation, auf sexuelle Erfahrungen oder zumindest eine Idee, was ich denn überhaupt wollen könnte. Ich hatte absolut keinen Plan, wußte nicht, wo ich eigentlich hingehörte, welchem der beiden Geschlechter ich den Vorzug geben sollte - und beide Geschlechter waren so gar nicht an mir interessiert. Weil ich nicht Fisch, nicht Fleisch war... immer noch kindlich-androgyn... die Pubertät ein quälend langsamer, schleichender Prozeß. Furchtbar.

Mit dem Beginn des neuen Schuljahres und meinem 18ten Geburtstag kam Bewegung in die Stagnation. Ich beschloß, nicht länger darauf zu warten, dass sich eine Altersgenossin meiner erbarmte und meine Defloration vertauensvoll in professionellen Händen zu legen.
Am Abend meines Geburtstags machte ich mich also, bewaffnet mit Personalausweis und Geburtstagsgeld, auf den Weg hinaus aus der Vorstadt rein in den Sumpf des Lasters und der käuflichen Liebe - ein Terrain, dass ich schon vorher zu jugendschutzkonformen Zeiten akribisch sondiert hatte.
Ich war nicht etwa voll froher Erwartung, ich wollte es einfach nur schnell hinter mich bringen - möglichst umkompliziert und relativ peinlichkeitsfrei.

Puh - zu so später Stunde war ich zuvor noch nie in der "Verbotenen Stadt" unterwegs gewesen... zu bunt, zu grell, zu laut, zu voll... am liebsten wäre ich unverrichteter Dinge wieder umgekehrt.
Weil ich mir aber fest vorgenommen hatte, endlich mitreden zu können, wanderte ich eine Weile in der Gegend umher, faßte mir schließlich ein Herz und betrat das Eros-Center, eines der großen Bordelle an der Reeperbahn, das im Wesentlichen aus einer Art beheizter Tiefgarage mit viel Schwarzlicht bestand, in der mehr oder weniger leichtbekleidete Mädels auf Kundschaft lauerten.
Ich hatte mich noch nicht ganz an die merkwürdigen Lichtverhältnisse gewöhnt, als auch schon eine ältliche Dame, die gut meine Mutter hätte sein können, harpyiengleich auf mich zugeschossen kam. Die ließ sich erst mal meinen Ausweis zeigen - womit ich gerechnet hatte - entdeckte, dass ich Geburtstag hatte, vermutete richtig, dass ich quasi Jungfrau sei und ließ mich nicht mehr aus den Klauen.
Die war nun so gar nicht mein Typ - ich war aber völlig verschüchtert und absolut nicht in der Lage, ihr einen Korb zu geben und mich weiter umzusehen.

Britta fügte sich also ins Unvermeidliche, beschloß, über das fortgeschrittene Alter und den schon deutlich sichtbaren Verschleiß hinwegzusehen, hoffte, die Dame würde mangelnde Attraktivität durch ausgekochteste Erfahrung wettmachen und gedachte der väterlichen Mahnung, dass es eh "keine quer hätte". Auf die schüchterne Frage, was "das" denn koste, wurde ihr beschieden, dass sie mit 30 Mark dabei sei - wohlfeil. Also los.

Durch spärlich beleuchtete Treppen und Flure gelangten wir schließlich zu einer Art weiblichem Cerberus, wo es den Obolus zu entrichten galt, dann in ein schäbiges Zimmer, in dem ich aufgefordert wurde "mich doch schon mal freizumachen".
Na klasse. Schwester!! Ich will hier raus! Aber nix da: Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Nach ein wenig unbeholfener Konversation wollte meine Lehrmeisterin in Spe zur Tat schreiten und fragte, ob ich schon wisse, dass für 30 Mark nur eine "Handmassage" zu erwarten stünde? ... Was?? Zwei gesunde Hände hatte ich selber! Es half alles nichts - weitere 30 Mark wechselten den Besitzer. Dann fragte sie, ob ich etwas trinken wolle - das hätte ich zwar in der Tat gut gebrauchen können, ahnte aber, dass mein schmales Budget ohnehin nicht ausreichen würde, sie mir hinreichend schön zu trinken, und lehnte höflich ab. - Aber SIE dürfe doch?? Hnngh... in Gottes Namen. Sie düste mit weiteren sechs Mark zum Cerberus und kehrte mit einem Vodka zurück.

Dann ging alles recht fix: Sie streifte sich ein Hosen- samt Strumpfhosenbein herunter, wickelte beides um das andere (Gott, diese Romantik!), stülpte mir, nachdem sie routiniert an mir herumgewurschtelt und tatsächlich - wider Erwarten! - so etwas wie eine Erektion hervorgerufen hatte, ein Kondom über und warf sich auf den Rücken - Zeit war ganz offensichtlich Geld.
Wie ich diese groteske Situation überstehen und nach relativ kurzer Zeit sogar "fertig" werden konnte, kann ich mir nur dadurch erklären, dass etwas in mir auf Autopilot schaltete.
Dann verschwand sie kurz im Bad, während ich mich hastig anzog, und bugsierte mich anschließend über wieder andere Gänge und Treppen in einen schäbigen Hinterhof - offenbar wollte man die abgefertigte, desillusionierte Kundschaft nicht mit der noch zu bearbeitenden zusammentreffen lassen...

Da stand ich nun - es hatte passenderweise zu regnen begonnen - wußte nicht, ob ich hysterisch lachen oder herzzerreißend weinen sollte... und hatte das Gefühl, dass die Kindheit jetzt tatsächlich unwiderruflich vorbei war.
Mein erstes und einziges Erlebnis mit käuflichem Sex - jedenfalls aus Kundenperspektive.
Ich wollte nur noch heim. Ganz schnell.

Als ich nach Hause kam, schliefen meine Eltern bereits. Ich schlich ins Bett und heulte mir fast die Augen aus.

Nicht, dass ich sooo naiv gewesen wäre, anzunehmen, auf diese Art etwas wirklich schönes erleben zu können - aber SO furchtbar, so kalt, technisch und herzlos hatte ich mir mein "erstes Mal" nun doch nicht vorgestellt. Selbst körperlich hatte ich rein gar nichts gefühlt (vermutlich hat sie der Einfachheit halber eh "eine Falle geschoben"). Wenn DAS also das höchste der Gefühle gewesen sein sollte, meinte ich, zukünftig gut darauf verzichten zu können.

Aber halt! Ein Ass hatte ich noch im Ärmel: Da gab es ja immerhin noch die "B-Seite" für den Verkehr freizugeben!
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief ich schließlich ein.

(Uii... schon wieder ganz schön lang - das mit dem Blut gibt's dann doch erst nächstes Mal!)

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Samstag, 27. März 2010

Proudly featuring: Isabell

Tja-ha! Ich weise ja immer gern darauf hin, wen oder was ich so lese - normalerweise lasse ich es aber bei Auflistung in meiner Blogroll oder bei begeisterter Erwähnung bewenden. 
Aaaber...  Isabell ist etwas besonderes. Finde ich.
Die Kleene marschiert nämlich gerade im Stechschritt durch ihr Leben: Outing bei den Eltern - Aufnahme der Behandlung - Bewerbung am Gymnasium.
Und das ganze mit gerade mal 17 Jährchen - selbst meine Katze ist älter (wird übrigens am 4ten April 19!).
Und wie sie das macht (Isabell - Nicht die Felidin!) ist sooo tapfer... und sooo ambitioniert. Toll.
Und gestern - ja gestern... hat sie die Benachrichtigung bekommen, dass sie einen Platz am Gymnasium ergattert hat!

Yeeee-haw! 
Herzlichen Glückwunsch, Lütte!! 
War klar, dass du das packen würdest. *strahl* 

Und auch, wenn ich ja so gar keinen Anteil an deinen Leistungen habe - ich bin echt stolz auf dich!
Alles, was du tust, tust du auch für uns alle! :-)))


Ach - "aufgegabelt" habe ich sie übrigens bei Ravel - der ist nur wenig älter und auch ziemlich gut dabei! Lese ich immer wieder gern!
Die zwei (oh - und Cornelia natürlich!) sind der Grund, warum ich selbst auch glatt noch mal mit plus/minus 20 antreten würde... Ach Quatsch... Ich hab's ja eigentlich auch ganz gut getroffen! ;-P

Samstag, 20. März 2010

Seeräuberjenny

- und kein Schiff mit acht Segeln in Sicht ...

Der sechste Teil, in dem ich zu zeigen versuchen will, dass das Leben natürlich nicht NUR furchtbar war. Dazu bedarf es vielleicht einer genaueren Schilderung der Lebensumstände und des daraus resultierenden Lebensgefühls.

O Timmendorf, bleiche Mutter... Für alle Nicht-Norddeutschen und sonstigen Ostseevermeider, denen der Name so gar nichts sagt, sei erwähnt, dass es sich um ein in Ostholstein an die Lübecker Bucht gekuscheltes verschlafenes Nest handelt, in dem nur während der Badesaison so etwas wie intelligentes Leben möglich ist: Kaum hat nämlich der letzte Tourist diese entlegene Weltgegend verlassen, schliessen 75 % der Läden, fast die gesamte Gastronomie und das, zumindest damals, einzige Kino der Umgebung.
Mich wunderte immer, dass man dem Kaff nicht gleich einen großen Schonbezug überstülpte - "tote Hose" kam jedenfalls schon fast einem Euphemismus gleich.
Direkt durch Timmendorf (eigentlich Timmendorfer Strand) nietet der 54° 00' Grad nördlicher Breite, was die Eingeborenen mit Stolz und tiefer Befriedigung erfüllt, weshalb man diesem bedeutsamen Umstand mit einem Messingband, das sich quer durch den Ortskern zieht, Rechnung trägt.
In den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit geriet diese beschauliche Gemeinde nur einmal, im Frühjahr '45, als das Meer etwa 800 Leichen an den Strand spülte, die anläßlich der Versenkung der Schiffe "Cap Arcona" und "Thielbeck" fünf Tage vor Kriegsende in der Lübecker Bucht den Tod gefunden hatten.
Die Timmendorfer versuchten vergeblich, Kurtaxe zu erheben.

Hier nun rief nach Kriegsende die evangelische Kirche das einzigartige Bildungsinstitut ins Leben, in dem Britta, wie 15 Jahre früher ihr Halbbruder (was sie allerdings erst ewig später erfuhr - aber das ist eine andere Geschichte), von der Schulversagerin auf stromlinienförmig-erfolgsorientiert umfrisiert werden sollte.
Ursprünglich war es, mit eigener Schule in privater Trägerschaft, besonders für Kriegs- und Flüchtlingskinder gedacht, später wurde es dann mehr zu einer Art Wohnheim mit Hausaufgabenbetreuung direkt neben dem Ostseegymnasium, dass das Land Schleswig-Holstein dazu vorgesehen hatte, auch die Gören der Rapsbauern, Fischer und Pensionswirte der Region mit so etwas wie Bildung zu versehen.
Das Internat stellte rund ein Drittel der Schülerschaft, war relativ preiswert und ohne jeden elitären Ruf, so dass die Belegschaft etwa zur einen Hälfte aus Problemkindern, zur andern aus Kids bestand, die aus den unterschiedlichsten praktischen Gründen in fremde Obhut gegeben werden mußten.
Der abgelegene Standort und die widrigen Bedingungen außerhalb der Saison führten dazu, dass das Kollegium der Schule zu einem nicht unerheblichen Teil aus skurilen Persönlichkeiten bestand, von denen nicht wenige schon die eine oder andere Strafversetzung hinter sich hatten, oder nach dem Krieg da irgendwie hängengeblieben waren.
So richtig freiwillig - so schien es jedenfalls - war eigentlich niemand da: Die Eingeborenen nicht, nicht die Lehrer - und wir Internatler schon mal rein gar nicht!
Im Winter hatte das ganze Setting in etwa den Charme einer sibirischen Strafkolonie.

Lustig war es irgendwie schon: Wir hatten einen Erdkundelehrer, der eigentlich nur von Weltgegenden erzählte, die er mit der Wehrmacht bereist hatte, und gern detailreich und blumig schilderte, wie er dreier Finger, eines Teils seiner Schädeldecke nebst einer Hinterbacke verlustig ging, weil er seine Handgranate zu spät geworfen hatte, eine Geschichtslehrerin, die uns ergriffen Lauschenden (Hey! - das hatte wenigstens am Rande irgendwie mit Sex zu tun!) zur Traumabewältigung ihrer Massenvergewaltigung durch die Rote Armee missbrauchte, und einen Chemielehrer, der nicht nur eines Tages den Chemiesaal komplett entglaste, weil er die Herstellung von Nitroglyzerin demonstrieren wollte, sondern auch der besseren Anschaulichkeit halber aus gutem Grund schwer erhältliche Chemikalien wie metallisches Arsen oder roten Phosphor durch die Reihen gehen ließ und sich jedesmal wunderte, wie flüchtig doch selbst feste Stoffe sein konnten, wenn sie nur giftig oder gefährlich genug schienen.
Dann war da noch der Englischlehrer, stets bedroht von der dann dritten Disziplinarmaßnahme, die die entgültige Entfernung aus dem Dienst bedeutet hätte, weil er gern mal mit seinem schweren Schlüsselbund warf oder Schülern die Nase blutig schlug.
Und natürlich mein ganz persönlicher Favorit: Der Lateinlehrer, dessen beispielloser Sadismus es ihm notwendig machte, sich alle straßenseitigen Fenster vermauern zu lassen, weil er es irgendwann leid war, ständig die Scheiben zu ersetzen, die die Schüler ihm einwarfen.
Klein, dicklich und mit Käpt'n-Bünting-Bart stand er der "Segelgilde" vor, einer Art AG, die über eine kleine Flotte Boote verfügte, die unten am Strand im "Segel-Käfig" wohnten.
Segeln allein wäre natürlich lustig gewesen, in der Gilde zu sein bedeutete aber, wöchentlich an einem Konditionstraining teilnehmen zu müssen, das jeder Ledernackeneinheit zur Ehre gereicht hätte.
Wurde man beispielsweise beim Rauchen erwischt, lautete das Urteil meist "Tadel oder einmal Konditionstraining".
Britta wählte nur einmal letzteres, wurde erbarmungslos geschliffen und akzeptierte von da an lieber willig den Tadel.
Im Unterricht herrschte blanke Angst, weil der Pauker nicht nur mega-streng war, sondern sich auch jedesmal ein-zwei Opfer aussuchte, die er verbal drangsalierte. Die Mädels litten besonders unter permanenten, aber leider nicht wirklich justitiablen Schlüpfrigkeiten: Bettina beispielsweise klang bei ihm immer wie Bett-Ina, Susanne wurde zu Sus-Anne (Sus = lat. Schwein).
Gab es keinen Namen zu verballhornen, griff er auf vermeintliche intellektuelle Defizite oder körperliche Unzulänglichkeiten zurück. Mir unvergesslich: "Regina - mit Ihnen möchte ich mich heute über ... Formen unterhalten... Und auch die ... Stellungen sollen dabei nicht zu kurz kommen!" ... Har-Har...
Britta lernte bei ihm nicht nur jede Menge Latein, sondern auch, dass es ganz schön doof ist, Frau zu sein.
Jedenfalls, so lange es solche Drecksäcke gibt. Und dass man sein rhetorisches Schwert nicht nur schleifen, sondern auch gleich noch vergiften kann.
Neben all den Mumien, Monstren, Mutationen hatte es schon auch ein paar nette Referendare und andere eher unauffällige Gutmenschen, die wohl einfach keinen attraktiveren Arbeitsplatz gefunden hatten.
Und wenn das alles vielleicht erst mal furchtbar klingen mag - dieses skurile Panoptikum von Lehrerschaft bot auch hohen Unterhaltungswert - langweilig war es jedenfalls nie.

Im Sommer gings - der Stand war schon schön. Auch wenn ich nicht gern badete - ich hätte dazu ja das T-Shirt ausziehen müssen. Wenn wir nicht baden konnten oder durften, vertrieben wir uns die Zeit damit, ein Opfer zu suchen, dass wir dann bis zum Hals eingraben und seinem Schicksal überlassen konnten. Besonders begehrt waren da die bedauernswerten Zeitgenossen, die die damals beliebten "Bay-City-Roller-Hosen" - Jeans, die am Hintern knalleng, dafür am gesamten Bein superweit waren - trugen: die konnte man prima mit Sand befüllen, bis sie, prallen Würsten gleich, ihren Träger vollkommen bewegunslos machten, weil wir sie sowohl unten, wie auch am Bund mit Bändseln verschnürten, die man nur mit einer Schere wieder aufkriegte.
Lustig. Sehr. So lange man nicht selbst den "Zombie" abgeben mußte - so schleppte man sich nämlich dahin, wenn es einem überhaupt gelang, auf die Beine zu kommen. 

Direkt hinter dem Internat verlief eine Umgehungsstraße, dahinter lag ein wunderschöner Wald - teilweise fast undurchdringlich verwuchert, teils mit uralten Buchen bestanden. Im Dickicht bauten wir aufwändige Höhlen, was natürlich streng verboten war, weil wir da auch immer Feuer machten.
Auf der Abbruchkante der an dieser Stelle weiter im Landesinneren verlaufenden Steilküste gab es Ruinen, die von einer ehemaligen Flakstellung stammen sollten. Den Hang hinab führte, Gerüchten zufolge, ein Geheimgang, der mit dicken Mauerwerksbrocken verfüllt war und von dem die Fama ging, dass die Nazis da Waffen und Munition vergraben hätten.
Generationen von Internatlern hatten sich da schon die Finger wundgebuddelt - wir natürlich auch. Nicht, dass wir je auch nur einen Uniformknopf gefunden hätten - aber Spaß machte es trotzdem, weil es natürlich auch verboten war.

Bei solchen Gelegenheiten kam noch am ehesten Hanni-und-Nanni-Feeling auf.

Ich verbrachte viel Zeit allein im Wald. Bewaffnet mit Decke und Buch zog ich mich in den Buchenwald zurück, wo ich eine kleine Lichtung kannte, an der stundenlang keine Menschenseele vorbeikam.
Stille. Absolute Stille. Und besonders, wenn die himmelstürmenden silbergrauen Säulen frische, grüne Blätterkronen trugen, ein grün-goldenes Licht, dass man so nur in alten Laubwäldern findet.

Sääähr aufregend auch, weil am aller-aller-verbotensten: das "Aussteigen". Nachts waren die Häuser abgeschlossen - es galt also, sich die Zwergenbelegschaft eines Unterflurzimmers mit Bestechung gewogen oder durch Einschüchterung gefügig zu machen, so dass das Fenster geöffnet und die Schnäbel geschlossen blieben, abzuwarten, bis unser Erzieher durch den reichlichen Genuß von "Underberg" (DAS Frauengold für den Mann, quasi!) hinreichend stramm vor Anker lag, um dann leise hinauszuhüpfen.
Raus ging es recht locker, weil es von der Brüstung bis zur Erde lediglich zwei Meter waren - rein war schwieriger: Räuberleiter, den letzten hievte man mit vereinten Kräften hinauf. Alles natürlich so leise als möglich, weil der Erzieher wohl nur mit den Posaunen des jüngsten Gerichts wiederzuerwecken gewesen wäre, seine Frau, die der Internatsküche vorstand, hingegen Ohren wie ein Luchs hatte.
Ohne die Haarpuschel an den Spitzen natürlich.
Manchmal wanderten wir nur am nächtlichen Strand umher - gelegentlich ließen wir uns aber auch von den örtlichen Päderasten in irgendeiner Spelunke, deren Wirt unser jugendliches Alter Wurst war, freihalten. Mehr oder minder beschwipst UND leise zurückzukraxeln war eine echte Herausforderung - wurde man erwischt drohte sofortige Relegation.
Die freundlichen Päderasten von nebenan taten nicht viel mehr (jedenfalls kamen mir keine weitergehenden Geschichtchen zu Ohren), als uns abzufüllen oder mit sinnlosem Krams zu beschenken; ich fand es trotzdem eklig - deshalb blieb es für mich eine einmalige Erfahrung.

War es zur Zeit meines "Strafantritts" noch recht schwierig, Aufnahme zu finden, blieben dem Internat jetzt langsam die Interessenten weg - Abgänge konnten nur noch selten ersetzt werden.
Das "Haus an der Timme" schlossen sie zuerst, dann mußte die "Abteilung Würz", in der die Jüngsten sonderbehandelt wurden, dran glauben - und schließlich zog "Fräulein Mahlzahn" murrend und knurrend mit all ihren verbliebenen Prinzessinnen aus dem "Mädchenhaus" in die untere Etage des "Neuen Jungenhauses" - sie bestand natürlich auf nagelneuen Sicherheitsschlössern und installierte gewiss heimlich zusätzlich Sprengfallen und Selbstschußanlagen.
Fast alle Oberstufenschüler wurden nun auch im "NJH" konzentriert, weshalb bei uns im Oberflur allerhand Zimmer vakant wurden - Britta gehörte zu den Gewinnern dieser Reise nach Jerusalem und mußte sich jetzt nur noch mit einem, statt mit fünf doofen Jungs herumplagen.

Etwa um diese Zeit muss ich zum ersten Mal über den Begriff "Transsexualität" gestolpert sein. Bis dahin war mir nur "Transvestit" und - als Schimpfwort - "Tunte" geläufig. Das schienen aber Männer zu sein, denen es Spaß machte oder ein Bedürfnis war, sich als Frauen zu verkleiden - ich fühlte mich eigentlich eher als Mann verkleidet.
Nun hörte ich von Menschen, die als Männer nach Casablanca flogen, dort all ihre Ersparnisse ließen und dann als Frau zurückkehrten. Oder zumindest als etwas ähnliches.
Die OP-Technik steckte in den Kinderschuhen und die Ergebnisse waren wohl entsprechend.
Meine Reaktion war zwiespältig: Einerseits eröffnete das ganz neue Optionen - man konnte also tatsächlich sein körperliches Geschlecht wechseln! Ufff... Mann-Sein war kein unabänderliches Schicksal??
Andererseits bedeutete es große finanzielle Opfer, Schmerzen, Risiken, unbefriedigende Ergebnisse - und vor allem: ein Leben im gesellschaftlichen Abseits. Fast alle "anderen Frauen" landeten offenbar über kurz oder lang im Rotlicht-Milieu, wenn sie nicht da schon das Geld für ihre OP zusammengespart hatten.
An Informationen zu kommen, war mehr als mühsam. Was sich heute problemlos an einem Nachmittag im Netz recherchieren läßt, bedeutete damals endloses Herumsuchen in Bibliotheken und peinliches Herumgefrage.
Was ich herausfand, entsetzte und entmutigte mich. So wollte ich nicht leben. Ich wollte kein Freak ohne bürgerlichen Job und ohne Familie werden, wollte nicht tagsüber das Gespött der Leute sein und des Nachts Gefahr laufen, totgeschlagen zu werden wie ein herrenloser Hund.
Ich verstärkte meine Bemühungen, diese "unselige Veranlagung", diese "unerklärliche Perversion" loszuwerden, oder doch zumindest so zu kaschieren, dass man mich nicht mehr "Jenny" rief (leitete sich teilweise auch ganz unschuldig von "Jani" ab - ich hieß Jan); ich war es auch leid, die "Maus" zu sein, die man zwar fürchtete, weil sie zunehmend schmerzhaft beißen konnte, aber trotzdem nie wirklich ernst nahm.
Ich hätte so gerne irgendwo dazu gehört, aber all meine Bemühungen verstärkten nur den Zwiespalt - ich begann mich zu hassen.
Ich haßte mich für meine Unzulänglichkeit, für meinen Mangel an Mut, für meine Verschlagenheit, die Verlogenheit und die Skrupellosigkeit, mit der ich die Schwächen anderer aufdeckte und mitleidlos für meine Zwecke nutzte.
Und ich haßte meine "Geschlechtsgenossen" - so sehr, wie ich sie fürchtete.
Das waren die "Feinde"... ALLE Männer waren Feinde - Feinde, unter denen ich leben mußte, denen ich eigentlich nicht gleich werden wollte, es aber zu müssen meinte.

In der Schule lasen wir die "Dreigroschenoper" - und ich empfand tiefes, fast schwesterliches Mitgefühl für die Seeräuberjenny.
Und wenn das Schiff mit den acht Segeln und den 50 Kanonen an Bord unseren Strand angelaufen hätte, mich retten zu kommen... Und wenn sie mich gefragt hätten, wen sie töten sollten... Dann hätte Jenny "ALLE!" geantwortet. Wie aus der Pistole geschossen. Das ist jedenfalls mal sicher!

Ein Jahr später drohte dem Internat die Schließung, ich hatte mich inzwischen schulisch saniert und durfte deshalb nach Abschluß der Zehnten heim.

Britta packte also glücklich ihre Siebensachen und verließ den Ort ihrer Verbannung um viele Erfahrungen reicher, -zig Illusionen ärmer, als hervorragende Schauspielerin und mit allen Wassern gewaschene Soziopathin.

(Hmpf... ich war eigentlich wild entschlossen, diesmal nur die positiven Aspekte, die lustigen und wirklich lehrreichen Seiten herauszustreichen - nun ist das schon wieder so eine dramatische Jammernummer geworden. Pfff... vielleicht krieg ich ja im nächsten Teil die Kurve!)

Schnell noch ein wenig Bratzen-Lyrik:

Hochmut

Ich mag den Hochmut
– vor dem Fall,
ich mag den Stolz,
wenn er sich regt.
Und ich mag Würde,
dann zumal,
wenn man sie
Stück für Stück ...
so peu à peu ...
zu Markte trägt. –

Britta/'92

(viel später und eigentlich in ganz anderem Zusammenhang geschrieben - paßt aber irgenwie, find ich...)


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Dienstag, 9. März 2010

Transamerica!

Kürzlich stieß ich bei Bad Hair Days (Danke, Sarah!) auf ein YouTube-Link zu einem Film, den ich schon seit Monaten sehen wollte - ein Roadmovie mit Felicity Huffman (genau, Mädels: Lynette Scarvo von den verzweifelten Hausfrauen!) in der Hauptrolle.


Die spielt, obschon so biologisch Frau, wie man es überhaupt nur sein kann, die Transidente Bree, die, eine Woche vor ihrer langersehnten OP, überraschend einen Anruf von dem 17-jährigen Toby bekommt, der nach "Stanley" fragt und bekundet, dass der sein Vater sei.
Bree rechnet fix zurück und fällt fast tot um: Als sie noch "Stanley" war, hatte sie zu Collegezeiten eine flüchtige Affäre, die offenbar nicht gänzlich ohne Folgen blieb.
Sie behauptet, "Stanley" sei unbekannt verzogen und erfährt, dass Toby sich in New York in Jugendhaft befindet und dringend Hilfe benötigt.
Als sie später ihrer Therapeutin davon berichtet, verweigert diese ihr zu ihrem Entsetzen die endgültige Genehmigung ihrer OP - es sei denn, sie stelle sich ihrer Vergangenheit.
Bree jettet nolens-volens von LA nach New York, löst dort ihren Sohn aus, der sich als ziemlicher Desperado mit Drogen- und Stricherfahrung entpuppt, kauft einen klapprigen Wagen und begibt sich mit ihm auf eine abenteuerliche Fahrt quer durch die Staaten zurück nach LA.
Bree verschweigt sowohl ihre Transidentität, als auch die Tatsache, dass sie in Wahrheit sein Vater ist, will sich der unangenehmen Pflicht so schnell als möglich entledigen und den Jungen unterwegs bei seinenm Stiefvater absetzen und gibt sich als Missionarin aus, die das verlorene Schäfchen zurück auf den rechten Weg führen will.
Ihr Sohn hingegen, streetwise wie alle Straßenkinder, sieht in ihr nichts als eine etwas wunderliche Dame, die ihn nicht nur aus dem Gefängnis befreit, sondern ihn auch umsonst in der Gegend herumkutschiert...

So weit der Plot - ich mag nicht den ganzen Film erzählen, weil die ein oder andere ihn vielleicht selbst noch sehen möchte.
Nur so viel noch: Das ungleiche Paar kommt sich unterwegs näher. Und Bree muss sich den Dämonen ihrer Vergangenheit stellen.
Oh - aber sie schafft es gerade noch rechtzeitig zu ihrer OP! ;-)

Ich sah den Film nun zwar nur in YouTubes Mäusekino (für den Vollbildmodus ist mein Läpchentöpchen einfach zu schmalbrüstig) und in zehn einzelnen Teilen. Und war doch gottfroh darum, weil ich in den Pausen immer wieder um Fassung ringen und meine Sicht klären konnte - hinterher sah ich trotzdem aus wie ein verheulter Frosch.
Nie, wirklich noch nie habe ich die Ängste und Nöte, die Unsicherheit und den verzweifelten Mut Transidenter filmisch so überzeugend, so ergreifend verkörpert gesehen wie von Felicity Huffman, die für ihre atemberaubende Leistung mehr als zu Recht für den Oskar nominiert wurde.

Auch ohne Gender-Thematik wäre dies ein wunder-wunderschöner Film über Eltern und Kinder, Liebe und Enttäuschung, Mut, Verzweiflung und Hoffnung - und natürlich ein großartiger Vertreter des Genres "Roadmovie", den ich wirklich nur uneingeschränkt empfehlen kann.

Und als ich, während Bree schon im Vorraum zum OP-Saal liegend, noch einmal so schüchtern und sanft - wie Abschied nehmend - nach dem tastete, was sie nach der OP nie wieder in dieser Form vorfinden würde, wie ein Schloßhündchen heulen mußte, fiel mir "My Sex" von Ultravox ein...
Nun habe ich es naturgemäß eigentlich nicht so mit "Oden an die Hoden" - Dennoch: Das ist das schönste Glied-Lied, das ich kenne. Und eine sehr poetische, persönliche Beschreibung von Sexualität. Aber hört selbst:




















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Sonntag, 7. März 2010

Standortbestimmung

- zumindest ein zaghafter Versuch ...

Dies ist eigentlich gar kein eigenständiger Beitrag - sondern lediglich ein Kommentar zu diesem Artikel, den ich gestern bei Diana las.
Weil es aber um ein Thema geht, dass mich gleichfalls heftig umtreibt, poste ich ihn auch in meinem eigenen Blog.

Bei der Gelegenheit möchte ich betonen, dass mein Blog eigentlich nie so stark um das Thema Transidentität kreisen sollte. Und schon gar keinen Anspruch auf "politische Bildung" erheben will - ich bin nämlich eigentlich einfach Britta, ein ziemlich normales Menschenkind mit einem ziemlich durchschnittlichen, normalen Leben. 

Aber eben ganz zufällig transident - was immer wieder zu Erklärungsbedarf führt. Nützt ja nix ... :-/

Oje ... was Ihr da an Argumenten ins Feld führt, kann ich, die ich mich wie Ihr mit der Materie weit über das populärwissenschaftliche hinaus auseinandergesetzt habe, gut nachvollziehen.
Der Normalbürger hingegen versteht, wenn er "sexuell" hört, "EROTISCH" - und sonst gar nichts. Für mich (und für Euch vermutlich ganz genau so) hat mein Trans-irgendwas-sein aber nichts, null-komma-nichts mit Erotik oder was auch immer zu tun. Und ich will auf gar keinen Fall mit wie auch immer gearteten sexuellen Deviationen in einen Sack! Meine sonstigen Absonderlichkeiten (und wahrlich! Da hab ich so einiges!) sind nämlich eine vollkommen andere Baustelle.
Ich könnte mich gerade noch so eben mit "transGESCHLECHTLICH" anfreunden - das Wort bietet die deutsche Sprache immerhin -, obwohl es meiner unmaßgeblichen Meinung nach wirklich weit mehr um Identität, denn um rein Körperliches geht.

Der Fisch stinkt doch eh vom Kopf her: TRANS ist doch die Crux. "Trans" impliziert eine Bewegung von-nach. Und bei mir bewegt sich gar nichts: Ich habe eine weibliche Hirnstruktur. Und einen männlichen Körper. Punkt.
Dass wir an unseren Körpern ÜBERHAUPT herumfieseln, ist doch ein neuzeitlicher Bonus: In früheren Zeiten hätten wir uns gerade mal selbst den Schwanz abschneiden können (ist ja wohl auch oft genug passiert)! Bei den indigenen Völkern (übrigens längst nicht bei allen), die immer wieder gerne verklärt Erwähnung finden, ging es nie um den Körper - Menschen wurden da nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten verortet. Die trugen dann eben die Kleidung des "Wunschgeschlechts", übernahmen die entsprechenden Tätigkeiten und fertig!

Am ehesten kann man doch unsere Befindlichkeit als "einhäusig-zweigeschlechtlich" bezeichnen - und das ist keine Störung (was immer die Psycho-Faschisten auch behaupten mögen), sondern einfach eine Prädisposition, die es gilt, lebbar zu machen.
WENN sich allerdings tatsächlich mal die Auffassung durchsetzen sollte, dass wir nicht krank, sondern allenfalls ... speziell sind - werden wir uns wohl jemand anders suchen müssen, der all unsere Hormone und OPs bezahlt. Warum sollte eine Krankenkasse, mithin die Allgemeinheit, das dann noch tun?? Zillionen Menschen sind mit ihren Phänotyp unzufrieden - weil sie sich zu dick, zu klein, zu kahlköpfig oder kleinbrüstig finden. Schön! Ist zwar teuer - KANN man aber etwas gegen tun. Das zahlen die dann allerdings schön brav aus eigener Tasche.
Wir sollten also vielleicht ein wenig vorsichtig sein mit dem, was wir uns wünschen ...

Aber zurück zu dem mMn völlig hirnrissigen "trans" - findet denn wirklich so etwas wie eine Transition statt? Ist das nicht nur - zugegebenermaßen notwendige - Staffage? Reine Kosmetik? Ändert sich irgendetwas an den natürlichen Gegebenheiten, mit denen wir auf diese Welt gekommen sind? Jede verdammte Zelle unseres Körpers weist, einem Kainsmal gleich, das verdammte Y-Chromosom auf (Trans-Männer mögen sich alles, was ich hier so absondere, spiegelverkehrt vorstellen) - wenn man von den paar haploiden Keimzellen absieht. So wir denn noch welche haben.
Mal ehrlich, Mädels: Und wenn wir uns das noch so eifrig einzureden versuchen mögen, Homone fressen, bis der Doktor kommt und uns operativ aufpimpen lassen wie durchgeknallte Super-Models - wir werden NIE einfach nur "normale" Frauen sein!
Selbst die glücklichen unter uns, die so rechtzeitig mit ihren Bedürfnissen wahr- und ernstgenommen worden sind, dass sie eine relativ lückenlose weibliche Sozialisation genossen haben und um die ünerwünschten pubertären Auswirkungen herumgekommen sind, menstruieren nicht, werden nicht schwanger, kommen auch nie in eine natürliche Menopause. Da wird ein Leben lang auf Teufel komm heraus substituiert. Künstlich zugeführt, was eine halbwegs weibliche Erscheinung garantiert, auf dass unsere hartleibig am Dimorphismus sich festkrallende Gesellschaft sich an der Nase herumführen lassen möge.
That's it: Schöner Schein, ebenso kosten- wie risikointensiv aufrechterhalten (gibt es eigentlich Zahlen, wie viele von uns auf OP-Tischen verreckt, an Komplikationen eingegangen oder schließlich Thrombosen, Karzinomen und Leberschäden erlegen sind??), damit man uns endlich fühlen, denken und handeln läßt, wie es unserer Hirnstruktur entspricht!

Bei den Intersexuellen (da ist es wieder - dieses völlig irreführende, dämliche Wörtchen!) ist alles noch mal komplizierter, weshalb es da auch einige gibt, die darauf bestehen, "Zwitter" genannt zu werden. Weil sie sich nicht damit abfinden mögen, sich auf männlich oder weiblich festnageln zu lassen oder gar (wie leider immer noch üblich!) schon als Kleinkinder nach Gutdünken von Eltern und Medizinern "zurechtgeschnippelt" zu werden. Auch bei denen hat es es ja einige, die trotz auf ersten Blick normalem XX- oder XY-Genotyp körperlich uneindeutig auf die Welt kommen. Sind wir also vielleicht ALLE "zwischengeschlechtlich"?
"Bio" jedenfalls sind wir allesamt. Bio-Frauen (auch so ein kackendoofes Wort, dass ich mangels vernünftiger Alternativen gelegentlich widerstrebend benutze), Bio-Männer ... und eben Bio-Zwitter??
MEINE Identität mag auch von meinem Körper und seinem spezifischen Empfinden mitgeprägt sein - in erster Linie wohnt die allerdings zwischen meinen Ohren. Und das schon immer - niemand hat die da hinein trans-portiert! Biologischer gehts nimmer.
Meinen Körper trans-portiere ich nun allerdings so weit als irgend möglich von A nach B - nicht aber gleich auch noch meine Sexualität, die, wie gesagt, auf einem völlig anderen Blatt steht.

Also ...  was bin ich denn jetzt bloß?? Eine Hirn-Frau? Mit Körper-Mann? Ist mein Mann eine Körper-Frau mit Hirn-Mann?
Alex hat in seiner Not mal den Begriff "Außenfrau" erfunden, die den "Innenmann" umhüllt - treffender habe ich das noch nicht zu formulieren vermocht.
Wie dem auch sei: Ich denke, dass unserer Umwelt der Begriff "transident" klarer zu vermitteln ist als "transsexuell", egal, was die Psycho-Hanseln damit ausdrücken wollen - zuhause fühle ich mich aber weder hier noch dort.
Vielleicht gelingt es uns ja irgendwann, ein wirklich passendes Wort zu erfinden! Eines, dass uns nicht von Wissenschaftlern, die uns wie seltsame Insekten studieren, übergestülpt worden ist.

Im Übrigen - aber das ist eigentlich ein ganz eigenes Thema, das ich bei Gelegenheit ausführlicher zu beackern gedenke  - springen wir eh zu kurz: Was UNS nämlich das Ausleben unseres Empfindens in ganz vielen Aspekten so schwer macht, läßt sich mühelos auf die in dieser Gesellschaft immer noch bestehende Ungleichbewertung der Geschlechter herunterbrechen. Die Grenzzäune sind ja nur deshalb so hochgezogen, so schwerdurchdringlich, weil es um MÄNNER-Pfründe geht.
Was UNS unglücklich macht, betrifft in gewisser Weise ALLE Frauen!

Jedenfalls beabsichtige ICH, murrend und knurrend zwar, weil in Ermangelung eines noch zu prägenden Begriffs, lieber weiterhin dem Fähnchen "Transidentität" hinterher zu dackeln, als mich mit dem Branding "transsexuell" als sexuellen Freak abstempeln zu lassen.
Aber jede so, wie sie es mag.
Ich betone ausdrücklich, dass ich in keiner Weise zu werten beabsichtige - oder gar meiner persönlichen Ansicht irgendeine wie auch immer geartete normative Kraft beimesse!

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Mittwoch, 3. März 2010

Mimese und Mimikri

- wie Britta sich eine kleidsame Tarnkappe häkelte

Kapitel fünf - und noch kein Ende in Sicht. Ich würde gern mal wieder etwas "Tagesaktuelles" schreiben - geht aber nicht, weil ich das jetzt zu Ende bringen will. 
Ich label die verschiedenen Teile mit Kindheit/Jugend, damit man die nicht mühsam zusammensuchen muß und werde sie nachträglich wie versprochen bebildern ... wenn ich endlich mal zum Scannen und Bildbearbeiten komme.

Auf Stealth-Mission hinter den feindlichen Linien zu sein, erfordert Vorsicht, Einfallsreichtum und ein waches Auge, will man nicht verbrennen.
Das Wichtigste ist natürlich, nicht aufzufallen, Mimese also: Stein unter Steinen, Ast unter Ästen, Blatt unter Blättern sein - letzteres hätte Britta leichtfallen sollen, weil sie die meiste Zeit ohnehin wie Espenlaub zitterte.
Auffallen konnte man bei den seltsamsten Gelegenheiten, gerne natürlich, wenn man in Gedanken war - oder sich unbeobachtet glaubte.

Wie eines Nachmittags, als ich ungewöhnlicherweise das Zimmer für mich allein hatte, auf dem Bett lag und las.
Zu früh gefreut: Die Tür springt auf und einer meiner Zimmergenossen poltert herein. "Hey, Maus - hast du meine Fußballschuhe gesehen?" - "Hmpff ... nö ..." - Er beginnt unter großer Geräuschentwicklung in seinem Spind zu wühlen, findet schließlich das Gesuchte, betrachtet mich beim Hinausgehen flüchtig und meint: "Du liegst da schon wieder wie ein Weib." - Die Tür schließt sich mit männlich-grobmotorisch-lautem Knall - und weg ist er.
"Maus" bleibt erschüttert zurück und fragt sich verzweifelt, was denn JETZT schon wieder verkehrt ist.
Den Namen verdankte ich übrigens neben der Tatsache, dass ich so winzig war,  meiner damals bevorzugten Fortbewegungsart: Huschen. Flinkes Hin- und Herwuseln - immer in Bewegung bleiben. Jedenfalls nicht dieses gewichtige Schreiten wie auf den Planken einer Seeräuber-Bark, schwer an der Last realer oder imaginierter Bemuskelung tragend. Auch nicht das betont lässige Schlurfen, das die Absätze der Clogs (die wir damals alle trugen) im Handumdrehen zu papierdünnen Brettchen schliff. - Huschen eben.
Aber ich arbeitete bereits an einem halbwegs männlichen Gang.

Jetzt jedenfalls lag ich also mal wieder buchstäblich falsch - und mir wurde schmerzhaft bewußt, dass ich bei aller Sprachverliebtheit einen wesentlichen Aspekt - die Körpersprache nämlich - vernachlässigt hatte. Höchste Zeit für ausgedehnte Studien auf dem Gebiet geschlechtsspezifischen Gebahrens.
Erst mal eine kurze Bestandsaufnahme: Ich lag seitwärts hingegossen, auf den linken Ellenbogen gestützt, Buch in der linken Hand. Das rechte Bein hatte ich angewinkelt, den Fuß hinter die linke Wade gekringelt, die rechte Hand lag locker auf der Hüfte.
Hmm ... Sah das jetzt vielleicht irgendwie lasziv aus?? So à la "Playmate räkelt sich auf Eisbärenfell vor Kamin"?
Ich probierte andere Posen. Meine zweitliebste Leseposition - bäuchlings, auf beide Ellenbogen gestützt, Unterschenkel hochgeklappt - wirkte irgendwie auch nicht männlich-markanter.
Schwierig. Wie lagen die denn, zum Donner?? Ich beschloß, die Jungs besser zu beobachten.
Sitzen war auch so eine Sache. Saß ich zum Beispiel auf einem Sessel, dann klemmte ich mich in eine Ecke, die Knie zusammen. Oder zog die Beine an und legte das Kinn auf die Knie. Ich übte, wo ich schon alleine war, gleich mal das breitbeinig-Hinfläzen. - Huh ... ungewohnt. Auf Stühlen war's nicht besser: entweder auf der vorderen Kante balancierend, Hände neben den geschlossenen Schenkeln, Füße nach hinten, oder Knie zusammen, Füße nach außen und den Kopf in die Hände gelegt. Ich seufzte schwer. Das sah nach viel Üben aus. Hinsetzen, aufstehen, hinsetzen, Haltung überprüfen und korrigieren, aufstehen...
Puh. Gar nicht einfach, ein Junge zu sein.

Grund für meine hektischen Aktivitäten war auch die düstere Stimmung, in der ich mich seit meinem letzten "Heimaturlaub" befand.
Die meisten von uns - jedenfalls die, deren Zuhause in vertretbarer Nähe lag - fuhren jedes zweite Wochenende heim. Einige fuhren nur in den Ferien; ganz wenige, deren Eltern dauerhaft im Ausland oder gar tot waren, wurden selbst über die Ferien im Internat notversorgt.
Ich hatte es nicht weit - anderthalb Stunden mit dem Zug - so dass ich zu den Glücklichen gehörte, die dem Elend wenigstens alle 14 Tage entfliehen konnten.
Nach fast einem Jahr in Timmendorf war der Kontakt zu meinen alten Klassenkameraden bereits ziemlich eingeschlafen. Einem Plakat entnahm ich, dass im Gemeindehaus "Disko" sei, und beschloß, auf Verdacht dorthinzugehen.
Es war ziemlich voll, die Tanzfläche einigermaßen belebt, aber keiner meiner alten Kumpane schien da zu sein. Vom Sehen kannte ich den ein oder anderen. So auch die Gruppe Realschüler, die am Rand standen, die Tanzenden beobachteten und auch gelegentlich zu mir sahen, die ich da einsam und selbstvergessen vor mich hin tanzte.
Schließlich löste sich eine der übelbeleumundetsten Dorfmatratzen aus dem Grüppchen, näherte sich mir betont langsam mit wiegenden Hüften und baute sich vor mir auf. "Ich habe gerade einen Kasten Bier gewettet, dass DU pervers bist!" sagte sie, machte auf dem Absatzt kehrt, ehe ich etwas erwidern konnte und ging zu ihren wiehernden Stechern zurück.
Uff... Das hatte gesessen. Mir wurde richtiggehend schlecht, als wenn ich einen Schlag in die Magengrube erhalten hätte.
Verdammt! Diese verdammte Schlampe! Ich hätte mir gewünscht, der Erdboden würde mich verschlingen - oder besser natürlich erst mal sie! Weil natürlich keins von beidem geschah, sah ich zu, dass ich da raus kam.
Bloß schnell nach Hause ... und nicht das Flennen kriegen, so lange mich noch jemand sehen konnte.
Das mag jetzt ein wenig nach Drama-Queen klingen - andere mußten sich schließlich auch blöde Kommentare zu Aussehen oder Tanzstil anhören - aber die Vorstellung, enttarnt zu werden... und die meiner Ansicht nach damit verbundene Schande ... gehörte zu meinen schlimmsten Ängsten - noch weit vor Krankheit, Tod oder Schulversagen.
Ich hatte noch wochenlang daran zu beißen und wünschte der blöden Kröte Pest, Cholera und natürlich alle erdenklichen Geschlechtskrankheiten an den Hals.

Zurück im Internat fragte ich D., die mich auch schon hatte tanzen sehen, ob etwas mit meinem Stil nicht stimme. "Bisschen viel Hüfte, vielleicht", meinte die, "und Arme zu dicht am Körper."
Ah - dachte ich mir schon. Mal wieder zu feminin.
Ich übte heimlich, mochte seitdem aber nicht mehr wirklich tanzen, weil ich mich unfrei und angespannt fühlte, wenn ich mich so kontrollieren mußte.

Warum mir so schändlich vorkam, zu meiner Weiblichkeit zu stehen? Hmm ... In den 70ern knirschte es zwar schon mächtig im Gebälk der bis dahin festgefügten Rollenmodelle - dennoch kannte ich niemanden, der freiwillig hätte Frau sein mögen. Frausein hatte (neben all den Vorteilen, die aber offensichtlich nur ich sah!) jede Menge Nachteile, gesellschaftspolitisch wie auch ganz konkret im persönlichen Alltag.
Und Frauen taten gut daran, sich vor Männern in Acht zu nehmen. 

Ein Beispiel: T. war ein Klassenkamerad und einer der Mavericks - kein Genie, wenn auch nicht doof (ich war über seine durchaus respektablen schulischen Leistungen ja im Bilde), dafür ein Psycho, dessen bloße Anwesenheit sich einem die Nackenhärchen aufstellen ließ. Er sah ziemlich gut aus (blendend, um der Wahrheit die Ehre zu geben), war eine Sportskanone und trotzdem meist allein, weil er auf eine schwer erklärliche Weise furchteinflößend war. Als ich eines Abends in der Dämmerung vom Strand zurückkam, sah ich ihn mutterseelenallein an einen Baum gelehnt - um seinen Zeigefinger kreiste eine verdammt echtaussehende Knarre. Ich machte einen großen Bogen.
T. redete nicht viel - er schlug sofort und ohne Vorwarnung zu - da reichte schon ein falsches Wort oder ein schiefer Blick. Zweimal "Nase englisch" verdankte ich allein ihm - und war entsprechend überrascht, als er eines Tages mich und eine weitere Klassenkameradin zum Skatspielen einlud.
Weil er einen Hang zum Küchenpersonal zu haben schien, war er mit der 16-jährigen Küchenhilfe K. verbandelt, die noch bei ihren Eltern wohnte, wo er mit uns zu spielen gedachte.
M. (die Klassenkameradin) und ich waren nicht sonderlich scharf auf seine Gesellschaft, aber neugierig genug, die Einladung anzunehmen, fanden uns also zum verabredeten Zeitpunkt in K.s Elternhaus ein. Die führte uns in ihr Zimmer (fast schon eine kleine Wohnung) unterm Dach, wo T. bereits - ganz der Hausherr - auf dem Sofa thronte und uns Getränke anbot, die K. dann fügsam zu holen eilte.
Kaum war sie wieder da, fiel T. ein, dass er unbedingt Kaffee bräuchte - K. flitze brav runter in die Küche, um einen zu brauen.
Wir hatten angenommen, dass wir mit Kiebitz, also zu viert, spielen würden, wurden aber belehrt, dass K., das dumme Huhn, gar nicht Skat zu spielen wisse. Da sie auch sonst nicht viel zu unserer Unterhaltung beizutragen wußte, fühlte sie sich offenbar ein wenig deplaziert (und das in ihren eigenen vier Wänden!) und schaute unglücklich.
Ich kannte sie bislang nur in ihrer Küchenmontur, sah jetzt aber, dass sie auch privat nicht viel anders herumlief: Bluse, knielanger Rock, Puschen und - selbst für damalige Verhältnisse ungewöhnlich für eine 16-jährige - Kittelschürze: ganz die biedere, züchtige Hausmaus.
Nachdem T. sie schon so etwa viermal treppauf-treppab gescheucht hatte, gelüstete ihn nach einem Bier - und holla! - K. begehrte zum ersten Mal tatsächlich auf!
Sie war mit ihrer Aufzählung der bereits herbeigeschleppten Sachen noch nicht ganz fertig, als sie sich eine schallende Ohrfeige einfing, die ihr fast das Gesicht nach hinten drehte. K. brach sofort in Tränen aus und lief raus - M. und ich saßen stocksteif vor Entsetzen und erwarteten jeden Moment, ihren Vater hereinstürmen zu sehen, um T. und uns vor die Tür zu setzen.
Aber nichts dergleichen: K., von der wir beide angenommen hätten, dass sie zu beschämt oder sauer sein würde, um wiederzukommen, kehrte demütig und immer noch leise flennend mit dem Bier zurück...
Wir spielten die Runde noch zu Ende und verließen dann unter fadenscheinigen Entschuldigungen den Ort des Schreckens.
Draußen empörten wir, die wir zu feige gewesen waren, auch nur einen Finger zu rühren oder den Schnabel aufzumachen, uns wortreich.
Aufgeregtes und natürlich nicht im geringsten zielführendes Geplapper: man könnte, man sollte, wie erträgt sie bloß,  wie kann er nur ... Derweil K. drinnen vermutlich gleich noch was hinter die Ohren bekam - just for good measure oder weil sie ihm mit ihrer Renitenz den Abend verdorben hatte.
Jedenfalls versah sie Tags drauf ihre niederen Arbeiten mit üppig blühendem Veilchen; nicht zum ersten Mal: wir hatten sie schon öfter mit blauen Flecken oder zugeschwollenen Augen gesehen und natürlich vermutet, dass T., und nicht etwa die glitschige Treppe oder der verirrte Schneeball der Grund dafür sein möge.

Mich beschäftigete dieses Erlebnis nachhaltig: Ich schämte mich für ihn, der uns in diese peinliche Situation gebracht und sein Mädchen vor unseren Augen geschlagen hatte; für sie, die das mit sich geschehen ließ, anstatt ihn achtkantig aus ihrem Zuhause zu kegeln, weil sie offenbar keinen Funken Stolz mehr im Leib hatte - und natürlich für mich, die ich nicht genug Arsch in der Hose hatte, nicht genügend Solidarität aufbrachte, Partei für sie zu ergreifen und dem Kerl zu sagen, was ich von derartigem Verhalten hielt.

Ich schämte mich aber auch, weil er fortan durch meine schon fast erotischen Träume geisterte - der erste Mann, der seit meinem Vater so weit in mein Unterbewußtsein vorgedrungen war. Gleich diesem hatte er pragmatisch, äußerlich ungerührt und aus "erzieherischen" Gründen gestraft.

Ich wollte ja eigentlich gar keinen Mann. Und so einen Mistkerl gleich mal gar nicht. Oder etwa doch??
K. verließ ihn ja nicht - wie sehr er sie auch quälte.
War das Hörigkeit? Oder gab er ihr etwas - Halt vielleicht? Orientierung? Oder ganz besonders tollen Sex? - was die Demütigungen und Schläge wert war? - Ich fand das ziemlich verwirrend.
Eines jedenfalls schien klar: Käme jemals heraus, dass ich in Wirklichkeit gar kein Mann war - quasi unter falscher Flagge segelte ... ich liefe vielleicht Gefahr, so zu enden, so behandelt zu werden wie K., die da ja irgendwie statt meiner zum Opfer wurde...
Sehr verquere Gedanken damals - ich litt tatsächlich eine Weile unter der seltsamen Vorstellung, dass sie und andere nur leiden müßten, weil ich mich entzogen hatte, mich in einem Jungenkörper verborgen hielt.

... Ist selbst heute nicht leicht für mich in Worte zu fassen.

"Nicht auffallen!" wurde mein Mantra, meine Mimese machte Fortschritte, und verbunden mit der zumindest rhetorischen Mimikri (wirklich körperlich gefährlich zu erscheinen war dann doch ein Ding der Unmöglichkeit) entstand eine Art Kunstfigur, ein Avatar, mein "Außenmann", der mir das Überleben in eigentlich lebensfeindlicher Umgebung gewährleistete.

Nicht auffallen - um jeden Preis.

Um den Preis körperlich-mentaler Einheit zum Beispiel. War ich früher bei allen inneren Widersprüchen doch irgendwie eins - ein Ganzes -, so ging jetzt ein schmerzhafter Riß durch meine Persönlichkeit.
Ein Riß, der, sich stetig verbreiternd, den Außenmann immer weiter von dem inneren kleinen Mädchen entfernte. Das klein blieb ... weil es sich, unterdrückt und weggesperrt,  nicht fortentwickeln konnte.

Mein inneres Kellerkind: blasser mit jedem Tag, anämischer ...
- und doch nicht totzukriegen.

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Montag, 1. März 2010

Allein unter Männern

- kleiner Leid(!)faden transidenter Überlebensstrategien  

Das vierte Kapitel - ich staune ein wenig, wie viel da plötzlich wieder hochkommt, wenn man erstmal im Flow ist.
In den lediglich zweieinhalb Jahren, die ich auf dem Internat verbrachte, drängt sich allerdings auch vieles, was mich ziemlich stark geprägt hat.

Zuhause gab es ja nun seit drei Jahren einen neuen Mann an meiner Mutter Seite. Und meinen Vater mußte ich auch gelegentlich besuchen. Sonst ging ich Jungs, wenn irgend möglich, aus dem Weg. Ich hatte wohl immer so zwei-drei Spielkameraden, die aber meist auch nicht wirkliche Ikonen der Männlichkeit waren.
In deren Gesellschaft fielen meine Defizite nicht so sehr auf, denen war egal, ob ich fußballspielen konnte, ob ich auf Bäume klettern oder von Garagendächern springen mochte. Die schätzten mich für meine skurilen Ideen, vielleicht auch, weil ich Gefühle zeigte und nicht auf den ihren herumtrampelte, wenn sie das auch taten.

Wähnte sich Försters Pucki so schon unter Wilden, hatte sie als frischgebackene Internatlerin nun das Gefühl, inmitten einer Menagerie wilder TIERE zu sitzen.
Nicht, dass es bei den Mädels sonderlich freundlicher zugegangen wäre: Die prügelten sich wohl weniger, tränkten es sich dafür mit katzenhaft süßem Lächeln heimlich ein, verzierten die Strumpfhosen der Rivalin mit Laufmaschen, schnitten der auch schon mal des Nachts die Haare oder pinkelten sich gegenseitig in die Parfüm-Flacons.
Dennoch schienen die bei aller hierarchischen Struktur so etwas wie Solidarität und Mitgefühl zu kennen. So ganz genau habe ich es nie herausgefunden - das war eine eigene, in sich geschlossene Welt, über die ein ältliches Fräulein (das auch darauf bestand, so angesprochen zu werden!) mit Argusaugen wachte. Ich fand, sie hatte etwas von Frau Malzahn. Ich hätte trotzdem lieber zu ihrer wohlbehüteten Herde seltsamer Prinzessinnen gehört, als in Ali Babas Höhle unter den Räuberkindern leben zu müssen.
So kam mir das nämlich vor. Da herrschte ein rauher (zuweilen auch durchaus herzlicher) Ton, an den ich mich nur langsam gewöhnte.
Die sprachen, wenn sie nicht gerade über Fußball oder Autos fachsimpelten, andauernd über rätselhafte Dinge, von denen ich so noch nie gehört hatte.
Von "Mösen" zum Beispiel. Komisches Wort. War mir bislang noch nicht untergekommen, bezeichnete offenbar Mädchen im allgemeinen oder die Freundin im Besonderen. Es hieß dann beispielsweise: "Ich komm' heut' nicht mit zum Fußball... geh mit meiner Möse ins Kino." - Aha.
Ich benutze das tolle neue Wort im Rahmen meiner mimetischen Bemühungen natürlich auch, wollte aber dann doch wissen, wie sich das eigentlich herleitete.
Weil ich mich aber nicht bei den Jungs als Hinterwäldlerin outen mochte, fragte ich eine Klassenkameradin, die ich gelegentlich im Mädchenhaus besuchte. Die brach ob meiner Unbelecktheit im schallendes Gelächter aus, deutete schließlich vielsagend zwischen ihre Beine...
Britta ahnte Unvorstellbares, hauchte kaum hörbar "V...agina???", was einen weiteren Heiterkeitsausbruch zur Folge hatte: "Ja, du Schussel! Vagina... Muschi... Pussy... Butze... Schnalle...!" -
Ufff... Britta machte große Augen... das alles waren Wörter, die sie hier wohl schon im Zusammenhang mit Mädchen gehört, aber nicht adäquat zu verorten gewußt hatte.
Konnte das möglich sein?? Dass Jungs die Mädchen - die eigene Freundin gar, die sie doch zu lieben vorgaben - derart reduzierten??
D. erläuterte, dass "Schnalle" das sei, wo der "Riemen" reinkäme.... okaaay... sinnfällig. "Muschi" und "Pussy" hätte nur in übertragenem Sinne etwas mit Kätzchen zu tun... auch klar... - Einzig "Butze" wußte sie nicht wirklich zu erklären. Ich erfuhr viel später, dass das Wort aus dem Berlinerischen stammt und eine kleine Wohnung oder einen Unterschlupf bezeichnet.
Auf meine Frage, ob Mädchen nun ihrerseits ihre Freunde als "Schwanz" oder vielleicht "Pimmel" bezeichneten, beschied sie mir, dass dass einfach "mein Typ", "Macker" oder "Freund" hieße - sonst würde schlicht der Name verwandt: das Beziehungsverhältnis wäre unter Freundinnen ja eh bekannt, müßte also nicht extra herausgestrichen werden.
Ich war erleichtert - zumindest die eine Hälfte der Menschheit war offenbar noch nicht vollends und hoffnungslos verroht - und beschloß, diese Begriffe aus meinem aktiven Wortschatz zu streichen.

D. war es auch, die ich irgendwann bat, mir die Augen zu schminken - angeblich lediglich, weil ich wissen wolle, wie ich mit Mascara und Kajal aussähe.
Ich hatte zwar oft meine Mutter beim Schminken beobachtet, auch selbst natürlich mit ihrem Krams experimentiert, das aber nie so richtig hingekriegt.
Sah süß aus, befand D. und versprach, das nicht weiterzuerzählen. Tat sie wohl auch nicht - es kam mir jedenfalls nie zu Ohren.
D. war nett, fast ein Jahr älter als ich und wurde mir so etwas wie eine Vertraute, wie die ältere Schwester, die ich gerne gehabt hätte, der ich mein Leid klagen und die ich Dinge fragen konnte, die ich andere nicht zu fragen wagte. Mich ihr ganz zu offenbaren traute ich mich aber nicht.

Die "Räuberkinder" kannten nicht nur komische Wörter, sie sprachen überhaupt viel über Sex (taten die "Prinzessinnen" vermutlich auch...) - 14-15-16-jährige sind wohl so.
Nicht, dass ich viel zu ihren Erzählungen beizutragen gehabt hätte, ich war ja mit allem ein wenig spät dran - aber wenn, dann hätte ich nie so schnodderig, so abwertend und vulgär darüber reden mögen. Die hielten das offenbar für männlich, extrem erwachsen und mit allen Wassern gewaschen - ICH fand es einfach nur mies, gefühllos und ein bisschen eklig.
Es wunderte mich überhaupt, dass die so gar kein Schamgefühl zu haben schienen: Die fanden offenbar nicht das geringste daran, splitterfasernackt im Zimmer umherzuhüpfen oder unter dieser entsetzlichen Gemeinschaftsdusche, die es einem nicht einmal ermöglichte, die Temperatur individuell einzustellen, körperliche Entwicklungen fachmännisch zu begutachten und darüber zu reden. Fremdartige Wesen.
Ich war eigentlich nicht wirklich prüde - zuhause liefen wir auch gelegentlich nackt herum - mochte mich aber Fremden nicht gern nackt zeigen. Ich schämte mich ein wenig für meinen Kinderkörper und fürchtete den direkten Vergleich. Auch fand ich, dass meine Brustwarzen ungewöhnlich groß waren, hatte Angst, dass das bemerkt werden könnte und zog mich deshalb auch beim Sport grundsätzlich der Wand zugekehrt um.
Sex interessierte mich eigentlich brennend - ich konnte meine Eltern nach absolut allem fragen und bekam immer ausführliche Antworten, las auch alles darüber, was ich in die Finger kriegen konnte - ich wollte nur einfach nicht SO darüber reden, wie das üblich zu sein schien.
Kekswichsen à la "Crazy" gab es bei uns gottlob nicht - aber ab und an beliebten meine Zimmerkameraden vor dem Einschlafen ein Wettonanieren anzuberaumen, was ich total entsetzlich und widerlich fand. Ich gab meist vor, bereits zu schlafen und hoffte, dass die möglichst schnell zu Potte kommen und Ruh geben möchten.

Das Zusammenleben mit Jungs war anstrengend und beängstigend. Ich war absolut ratlos, warum ich mich so fremd fühlte: Warum konnte ich nicht, was denen offenbar so leicht fiel? Warum mochte ich nicht, was die alle so toll fanden?
Körperlich sah ich die Ähnlichkeit zu ihnen - aber warum hatte ich trotzdem das verstörende Gefühl, unter diesen ganzen langsam zu Männern werdenden Wesen so schrecklich falsch zu sein??
Es konnte nicht angehen, dass ich es mit lauter Mutanten zu tun hatte - also waren die offenbar die Norm.

Aber was zum Teufel war dann ich??

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Sonntag, 28. Februar 2010

Killer-Bunny

... oder wie man seine Unschuld verliert - ohne selbst zu bluten!

Der dritte Streich nach "Pazivalerina" und "Britta hinter den Spiegeln" - nicht, wie ursprünglich geplant, der letzte; eigentlich mehr ein erklärendes Zwischenspiel.
Ich fürchte, meine "Vergangenheitsbewältigung" wird doch ein wenig umfangreicher...


Der gravierendste Unterschied zu meinem bisherigen Leben bestand darin, dass ich von einem auf den anderen Tag meiner Privatsphäre vollständig verlustig ging.
Wird man in der Schule gemobbt, so ist ein Ende der Qual doch absehbar: Nach Schulschluß kann man sich in seine Höhle verkriechen und sich seinen Umgang in der Freizeit mehr oder weniger selbst aussuchen. Hat man hingegen das Pech, auf einem Internat zu landen, gehen die Uhren anders.
Unsere Schule war direkt nebenan und wurde auch von den sogenannten "Externen", den Gören aus Timmendorf und umzu, besucht. Nach Unterrichtsende war man also lediglich rund zwei Drittel seiner potentiellen Quälgeister los. Der Rest folgte einem im großen Pulk in den Speisesaal. 30 Minuten später verteilte sich alles auf die jeweilgen Häuser - von den ursprünglichen 220 blieben in meinem Fall so etwa 60, mit denen schon mehr zu rechnen war, weil sie sich einigermaßen frei im Haus bewegen und einem auf die Pelle rücken konnten - alle anderen mußten sich beim Erzieher anmelden, wenn sie zu jemandem aus unserem Haus wollten.
Im Haus splittete sich die Meute, schichtete sich nach Alter und Fluren. Sechs bis acht Zwerge pro Zimmer im Unterflur, im Mittelflur vier bis sechs, die Oberstufe residierte im Oberflur in relativ komfortablen 2-3-Personen-Höhlen.
Besucht (meist eher heimgesucht) wurde von oben nach unten: Jüngere gingen nicht ohne Einladung oder guten Grund in die oberen Flure. Blieben also etwa 20 Leute, denen man jederzeit im Flur, auf dem Klo oder im Waschraum begegnen konnte.
Der alles entscheidende letzte Cluster aber war die Zimmerbelegschaft: Den direkten Bettnachbarn KONNTE man nicht entgehen. Die waren IMMER da, rund um die Uhr, mit denen ging man zur Schule, saß beim Essen mit ihnen an einem Tisch, machte gemeinsam Hausaufgaben und wurde mit ihnen zweimal die Woche in die gaskammerartige Gemeinschaftsdusche gescheucht - die konnten auch mitten in der Nacht auf komische Ideen kommen.
Die einzige Möglichkeit, mal für eine kleine Weile allein zu sein, gab es während der Stunden, in denen man "Ausgang" bekommen konnte. Dann konnte man an den Strand oder in den Wald flüchten - was ich tat, wann immer es ging.

Die Lebensqualität bemaß sich in erster Linie nach der Stellung in der Hierarchie.
Die "Alphatiere" hatten außer der Mühe, ihren Rang zu behaupten, wenig auszustehen. Als Alpha galt, wer beliebt, gefürchtet, oder beides war.
Beta- und Gamatierchen mußten sich schon etwas wärmer anziehen, lauerten auf eine Gelegenheit, den Alphas den Rang abzulaufen oder doch zumindest nicht weiter abzusteigen.
Die "Omegas" aber hatten die Hölle auf Erden. Jeder, absolut jeder hielt sich an ihnen schadlos, trampelte auf ihnen herum, um Dampf abzulassen oder einfach nur so.
Sozialer Status in der Aussenwelt half nur bedingt: Reicher Leute Kinder konnten sich in bestimmtem Umfang freikaufen. Die weniger reichen versuchten das auch - im Nebenzimmer hatte es einen Unglückswurm, dessen einzigen Resourcen aus alle paar Wochen von seiner Großmutter geschickten Freßpaketen bestanden. Die lieferte er ungeöffnet ab - seine Zimmer'genossen' fraßen die Hälfte und verteilten den Rest, um sich selbst "Freundschaften" zu erkaufen.
Eine andere Beschwichtigungsmöglichkeit bestand darin, unangenehme Aufgaben zu übernehmen: Ein Dienstplan regelte, wer in der Küche helfen, den Hof fegen, die "Schweineeimer" wegbringen (die reichlich anfallenden Essensreste, mit denen Viehzeug gemästet wurde), Zimmer und Flure saubermachen mußte. Überwacht wurde das vom "SvD", dem (üblicherweise im Oberflur beheimateten) "Schüler vom Dienst". Den aber kümmerte nur, das es erledigt wurde - nicht wer das tat.
Nicht sooo üblich, aber sowohl einvernehmlich, als auch als Resultat von Nötigung möglich: sexuelle "Dienstleistungen". In so eine Position zu geraten, vernichtete zwar jede Chance, jemals wieder Ansehen zu erlangen, verhalf aber wenigstens zu EINEM "Beschützer", der die übrigen Bestien auf Abstand hielt.
Jeder wußte davon, wußte, wer wen wann schlug, demütigte, nötigte - wie hätte man das bei der sozialen Enge auch unter der Decke halten sollen? - und keiner half.
Im Gegenteil: Einmal stigmatisierten Opfern gab man schnell im Vorübergehen auch noch einen mit. Die Erzieher bekamen davon nur Wind, wenn sie zufällig dazu kamen - Petzen zu laufen ging gar nicht, kam sozialem Selbstmord gleich.

Britta hatte nun wirklich nicht das Zeug zum Alphatier, war weder stark, noch sportlich, war nicht reich und sicherlich kein Mädchenschwarm - hatte aber den festen Willen, nicht als Omega zu enden und biß deshalb wild um sich.
Es gab so etwa eine Handvoll Einzelgänger - Mavericks, die nirgends dazu gehörten, die außer Konkurrenz liefen, weil sie irgendetwas an sich hatten, das sie aus der Masse heraushob.
Paria - Unberührbare... Entweder vergeistigte Genies, die in irgendwelchen unerreichbaren Sphären schwebten - oder brandgefährliche, unberechenbare Soziopathen, denen man besser nicht zu nahe kam, weil sie keinerlei Beißhemmung kannten, sich an keine Regeln hielten.
Hier kam ihr jetzt ihre starkentwickelte Empathie zustatten - eigentlich eine schöne, soziale Fähigkeit, die man aber auch hervorragend nutzen konnte, um anderer Leute Schwächen herauszufinden. Nun nur noch das Kaliber der Revolverschnauze gehörig aufgebohrt, letzte Skrupel über Bord (tschüß, Hanni und Nanni - das Leben ist WIRKLICH kein Ponyhof!) - und dann volle Lotte drauf! Auf alles und jeden, der den Sicherheitsabstand nicht einzuhalten tollkühn genug war.
Das führte in der ersten Zeit mehr als einmal zu blutiger Nase und zugeschwollenen Augen - dann hatte auch der Unbedarfteste gemerkt: Das kleine Mistvieh umfuhr man besser weiträumig, ließ es in Frieden, wollte man vermeiden, zum Gespött des Publikums zu werden. Britta vermied nämlich schlau die Konfrontation tête-à-tête, knöpfte sich potentielle Opfer nur vor, wenn genügend Zuschauer zugegen waren, die eine zünftige öffentliche Exekution auch gebührend zu würdigen wußten.

Ich merkte anfangs gar nicht, WIE zerstörerisch meine Kraft bereits war, hielt mich für winzigklein, unbedeutend und ganz und gar nicht dazu im Stande, ernstzunehmenden Schaden anzurichten.
Auch da bedurfte es wieder eines Satori-Erlebnisses, wie seinerzeit mit dem Spatzen.
Im Keller stand ein vielfrequentiertes Tischfußball-Dings, dass ich üblicherweise mied, weil Kickern Ballgefühl erforderte... Gelegentlich ließ ich mich jedoch dazu breitschlagen. Wir spielten zwei gegen zwei - etwa 10 Leute standen um uns herum, sahen zu und kommentierten - natürlich auch meine häufigen Patzer.
Wortführer war O., der etwa so alt wie ich, ebenfalls mit recht spitzer Zunge gesegnet und einer unserer wenigen Realschüler war. Dieser Umstand, sowie die Tatsache, dass er als Scheidungskind mit seiner Mutter in deutlich bescheideneren Verhältnissen als vor der noch nicht lang zurückliegenden Trennung seiner Eltern lebte, machte ihm zu schaffen, wie ich wußte.
Erst versuchte ich, ihn mit gelegentlichen Repliken in seine Schranken zu weisen, während ich weiterspielte; als er aber gar nicht lockerließ und sich mit hohntriefender Stimme darüber verbreitete, dass ich wie ein Mädchen kickerte, platze mir der Kragen: "Klar! Klar spiele ich wie ein Mädchen!", dachte ich, "Aber DU Mistkerl wirst der letzte sein, der herausfindet, WARUM!" - es war an der Zeit, ihn nunmehr meiner vollen Aufmerksamkeit zu würdigen.
Ich brach das Spiel kommentarlos ab, wandte mich zu ihm um und nahm sorgfältig Maß. Er war voll dabei, wähnte sich sicher und die Lacher auf seiner Seite - die ersten Einschläge merkte er nicht einmal. Als ihm aufging, dass die anderen längst nicht mehr über mich, sondern über ihn lachten, war's zu spät - ich hatte flink das Thema gewechselt und konzentrierte mich jetzt ganz auf seinen Kummer über den sozialen Abstieg, erfand haarsträubernde Geschichten über den Stadtteil, in dem er leben mußte, über seine Mutter, die Wohnung, die gesamten Lebensumstände. Er gehörte üblicherweise eher zu denen die austeilten, als dass sie einstecken mußten, war nicht gewohnt, so in die Defensive zu geraten, mühte sich redlich, aber fruchtlos, wieder eine eigene Strategie zu finden.
Schließlich wurde seine Gegenwehr schwächer und stereotyper, er begann sich unter meinen Worten wie unter einer Peitsche zu winden, wich endlich rückwärts in Richtung Treppenhaus zurück - ich und meine feixenden Claqueure immer hinterher. Ich trieb ihn mit Worten die Treppe hinauf, konnte fast körperlich fühlen, wie sie ihn trafen, war wie im Rausch, wurde schneller, zynischer und gemeiner, hielt ihn aber praktisch künstlich am Leben, wo ich ihm längst den rhetorischen Gnadenstoß versetzen oder ihn vom Haken hätte lassen können - ich hatte doch schon längst gewonnen.
Die Hatz endete im Dienstzimmer des Hausvaters - er hoffte wohl, ich würde dort von ihm ablassen, hatte aber die Rechnung ohne das Brittalein gemacht, die wie besoffen von der Schönheit und Kraft ihrer Worte dort erst richtig zur Höchstform auflief. 

Ich muß wirklich sehr, sehr witzig gewesen sein - selbst unser Erzieher, der in der ihm eigenen Einfalt überhaupt nicht überriß, welches Drama sich da vor seinen Augen abspielte, lachte sich halbtot...
O. war längst am Ende - eigentlich schon deutlich drüber - ich wußte das, ich wußte was ich tat, sah sein Kinn verräterisch zucken, hörte das Zittern in seiner Stimme... Keine Gnade... keine Atempause - ich war dafür bekannt, keine Gefangenen zu machen... aber eine derartige Machtfülle hatte ich nie zuvor empfunden.
Schließlich der völlige, totale Zusammenbruch: O. brach in Tränen aus... vor versammelter Mannschaft... vor dem jetzt doch wie vom Donner gerührten Erzieher... er rannte raus, flüchtete die Treppe rauf, gab Fersengeld wie von Furien gehetzt, schloß sich im Klo ein und drohte, sich das Leben zu nehmen.
Drei Stunden redeten sie auf ihn ein wie auf ein krankes Pferd, bis er endlich wieder heraus kam.

Mir trug die Nummer eine gehörige Standpauke vom Internatsleiter, zu dem man mich schleppte, zwei Wochen Stubenarrest und einen Ruf wie Donnerhall ein: Ich war das Killer-Bunny, ich war die Maus die SCHRIE, dass selbst den Tigern das Blut in den Adern gefror.

Ein klein wenig erschrocken war ich schon (Oops - war ICH das??), aber in erster Linie doch mächtig von mir selbst beeindruckt - das schlechte Gewissen kam erst viel, viel später.
O. hat nie wieder ein Wort mit mir gesprochen.

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Donnerstag, 25. Februar 2010

Britta hinter den Spiegeln

... häßliches Entlein - sterbender Schwan

Die "Parzivalerina" ging mir noch erstaunlich schnell von der Hand. Hier nun die Fortsetzung - hat jetzt doch länger gebraucht, als ich gedacht hätte. Ich bin nicht sicher, ob ich die anfängliche Stringenz beibehalten kann, werde wahrscheinlich doch gelegentlich Episoden aus der Zeit bis elf anfügen müssen - je länger ich über all den alten Kram nachdenke, desto mehr kommt da wieder hoch. Ich will dennoch versuchen, einigermaßen chronologisch und übersichtlich zu bleiben.

War das Leben bisher schon verwirrend und kompliziert, so verschärfte sich das mit Eintritt ins Gymnasium und allmählich einsetzender Pubertät erheblich. In der Grundschule hatte ich meine Nische, die Mitschüler hatten sich über die Jahre an mich gewöhnt und ließen mich weitgehend in Ruhe - in der neuen Klasse mußte die Hierarchie neu ausgefochten werden, Kleidung wurde doch langsam wichtiger, sozialer Status auch.
Meine Mutter hatte immer noch recht wenig Geld, kaufte daher eher preisgünstige und zweckmäßige Sachen, Gott sei Dank aber auch nichts Auffälliges mehr, was mich hätte bloßstellen können.
Hatte ich mich bis dahin mit Händen und Füßen gegen Mädchensachen gewehrt (nicht, weil sie mir etwa nicht gefallen hätten!), wurde mir jetzt langsam bewußt, dass mein persönlicher Geschmack doch sehr von dem der Jungs abwich. Ich fand über die Maßen spannend, was die Mädchen so anhatten, entdeckte, dass es Leute wie David Bowie, Bryan Ferry und Brian Eno gab, die mit Geschlechterrollen und -klischees spielten.
Mein Zimmer tapezierte ich aber dann doch lieber mit Alice-Cooper-Postern - ehe noch jemand auf komische Ideen gekommen wäre.

Körperlich tat sich bei mir nicht viel. Ich war und blieb kleiner, zierlicher und unsportlicher als die meisten meines Jahrgangs und war entsprechend unpopulär. Ein komisch undefinierbares häßliches Entlein.
Laufen konnte ich allerdings. Und Weitspringen - typisches Fluchttier eben. Das rettete mir manches Mal mein knochiges Hinterteil, weil ich zwar körperlich nicht viel zuzusetzen, aber einen unverhältnismäßig frechen Schnabel hatte. Gefääährliche Kombi.

Ungefähr um die Zeit muß ich auch den Begriff "schwul" aufgeschnappt haben - etwas offenbar extrem Schlimmes, das mit effeminiertem Verhalten und Auftreten einherzugehen schien. Mir schwante Böses.
Entsprechend überaufmerksam beobachtete ich mich selbst, fand bei mir aber keine auffällige Präferenz für Jungs. Mädchen interessierten mich allerdings so rein erotisch genauso wenig. War wohl eh noch ein bißchen früh, weil ich erst mit etwa zwölf erste Anzeichen pubertärer Veränderung zeigte.
Diese an sich schwere Krankheit nahm bei mir ohnehin einen recht sanften Verlauf: kaum Akne, keine seltsamen aggressiven Anwandlungen, nur spärlich sprießende Körperbehaarung - noch ein Grund mehr, den Sportunterricht zu hassen. Dort nämlich wurden körperliche Fortschritte akribisch beobachtet und kommentiert.
Ich blieb bis etwa 16 äußerlich mehr oder minder Kind - jedenfalls im Vergleich. Selbst ein richtig amtlicher Stimmbruch blieb mir erspart. Die Stimme wurde unmerklich ein wenig dunkler, das war's. Während die anderen mit erfundenen oder tatsächlichen ersten Erfahrungen prahlten, tat sich bei mir bis auf eher zaghafte Küsse und Herumtasten unter anderer Leute Blusen auf Klassenfeten nix.

Meine Mom, die nur halb so alt wie mein Vater, hübsch und hedonistisch war, ließ es in den Jahren zwischen Scheidung und zweitem Gatten ziemlich krachen - in den ausgehenden 60ern, anbrechenden 70ern ging die Post mächtig ab.
Eines Tages erwischte ich sie mit einer anderen Frau im Bett - was meinem persönlichen Erotikon einen weiteren verstörenden Begriff hinzufügte: "lesbisch"!
Mein Gott - was es alles gab! Sexualität war ganz offensichtlich ein brandgefährliches Minenfeld.
Das Brittalein begann unterdessen, Mamis Kleiderschrank und, wenn sich die Gelegenheit ergab, die von Freundinnen oder Verwandten zu untersuchen, weil das Bedürfnis, herauszufinden, wie es sich in den Schuhen der Hälfte der Menschheit lebt, der sie sich immer deutlicher zugehörig fühlte, drängender wurde.
Dabei galt es mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen: Die Vorstellung, erwischt zu werden, gehörte zu den schrecklichsten Ängsten meiner Kindheit und Jugend.
Diese Mischung aus Angst und Wohlgefühl war aufregend, weshalb ich mich zuerst eher für einen Transvestiten (noch so ein frischentdecktes komisches Wort!), denn für transident hielt. Ich strich über Brüste, die sich nicht entwickeln wollten, klemmte, was sich schließlich doch ein wenig entwickelte, zwischen die Beine und betrachtete meine nun glatte, geschlechtslose Front, kokettierte mit dem androgynen Wesen, das mir da aus dem Spiegel deutlich entspannter und gelöster als im Alltag entgegenschaute. Das war durchaus so etwas wie Sexualität - Sex mit dem Menschen, den ich trotz aller Unzulänglichkeiten und Widersprüche am meisten liebte, dem allein ich vertraute, der meine geheimsten Geheimnisse, meine verborgensten Wünsche kannte - Mir.

Meine Mutter arbeitete von früh bis spät, ich war viel allein, wollte allein sein, ich las, verschlang Bücher, fraß Wörter, weil ich wußte, dass Sprache wie ein Schwert sein kann. Ein Schwert, das zu führen gelernt sein wollte, das es zu schleifen galt, meine einzige Waffe in einer bedrohlichen Welt voller Wölfe.
Meine schulischen Leistungen litten - naturwissenschaftliches Interesse ging mir völlig ab, Englisch und Latein waren zeit- und lernintensiv, Sport schwänzte ich, wann immer es ging - einzig in Deutsch und Geschichte war ich brilliant, und an Kunst hatte ich Spaß.
Mit meinem Vater wurde es dadurch schwieriger - wenn aus mir schon kein ganzer Kerl zu werden versprach, hätte er wohl wenigstens Erfolge in der Schule erwartet. War ich bei ihm, konnte ich mir endlose Vorhaltungen anhören oder wurde seinem Abhärtungs- und Körperertüchtigungsprogramm unterzogen, was so rein gar nicht fruchtete und nur zu weiteren Vorhaltungen führte.
Der einzig lustige Bestandteil war die Möglichkeit, Schießen zu lernen - mein Vater hatte berufsbedingt jede Menge Knarren und Britta fand das spannend; wohl nicht zuletzt, weil sie dafür echtes Talent aufwies.
Zuerst mit dem Luftgewehr auf Scheiben, Flaschen und Dosen, dann mit Walther PPK und Kleinkalibergewehr auch auf bewegliche Ziele. Einzig für die schweren Schrotflinten war ich mit meinen elf Jahren noch zu fragil.

Hauptbestandteil des recht simplen väterlichen Weltbilds war die Unterteilung in "nützlich" oder "schädlich". Maulwürfe verwüsteten den Rasen, wurden also gnadenlos mit Gift, Fallen oder Spaten eleminiert, Kreuzottern waren giftig und deshalb ihres Lebens in direkter Gartennähe nicht sicher, Spatzen machten Krach und fraßen den melodischeren Singvögeln das Futter aus dem Vogelhäuschen, während Drosseln zwar schön sangen, aber meines Vaters Vorliebe für Erdbeeren teilten, weshalb der den Garten zur drosselfreien Zone erklärte und das Brittalein dazu anhielt, dem nutzlosen Kroppzeug mit Pulver und Blei den Garaus zu machen.
Das tat sie dann auch brav, die Ellbogen bequem auf dem Schlafzimmerfensterbrett aufgestützt, durchs Zielfernrohr die Umgebung nach potentiellen Opfern scannend, weil es für jeden erlegten Schädling Anerkennung und eine Mark Blutgeld einzuheimsen gab.
Gewissensbisse hatte ich keine - die Viecher fielen ja einfach nur tot um und sahen auch aus der Nähe betrachtet nicht besonders anders aus als zu Lebzeiten: Ein- und Ausschuß hinterließen nur verwuschelte Stellen im Gefieder mit ganz wenig Blut.
Meiner Mutter erzählte ich davon nichts - die war Kriegskind und pädagogisch ambitionierte Kindergärtnerin, haßte Kriegsspielzeug und sinnloses Töten und ließ mich, als ich ihr schließlich doch davon sprach, monatelang nicht mehr zu meinem Vater.

Meine eigene Haltung änderte sich schlagartig, als ich eines Tages durch die Zieloptik zwar Federn stieben, den Spatzen aber gleichwohl auffliegen sah. Mein Vater meinte, ich hätte ihn verfehlt, ich aber sah ihn in etwa 100 Metern Entfernung am Waldrand niedergehen und bestand eigensinnig darauf, nachschauen zu laufen.

Spatzen sind mit ihrem graubraunen Gefieder zwischen trockenem Laub und Gras eigentlich nicht auszumachen - ich fand ihn dennoch, weil er just in dem Augenblick als ich eintraf, ein letztes Mal mit den Flügeln schlug.
Ich SOLLTE ihn wohl finden...
Jedenfalls nahm ich das kleine Tier vorsichtig in die Hand und sah zum ersten Mal und mit maßlosem Entsetzen, was ich vorher dutzendfach gedankenlos angerichtet hatte: Der Vogel war nicht nur einfach mausetot - er sah auch so richtig scheiße tot aus!
Die Kugel muß auf Höhe des Brustbeins eingedrungen sein, hatte Bauchdecke und große Teile der Eingeweide, sowie ein Beinchen weggerissen, das zweite hing nur noch an einer einzelnen Sehne. Wie das Tierchen mit derartigen Verletzungen überhaupt noch hatte fliegen können, ist mir bis heute ein Rätsel.
Ich war total erschüttert: Hatte wirklich ICH das getan?? Als ich wenig später zum ersten Mal Eschenbachs "Parzival" las, berührte mich die Szene, in der die Mutter ihn fassungslos um den mit dem Bogen erlegten Vogel trauernd findet, besonders stark.

Mein Vater war anfänglich ob der erfolgreichen Nachsuche begeistert, gab mir eine Mark extra, wurde dann aber mächtig sauer, weil ich nicht aufhören konnte zu flennen und ihm beschied, dass ich fortan nie, nie, niemals wieder auf Lebendiges zu schießen gedächte.
Zurück bei meiner Mom MUSSTE ich einfach davon erzählen. Die rief sofort meinen Vater an und kriegte sich furchtbar mit ihm in die Haare, weil er in keiner Weise einsehen mochte, dass man Elfjährige nicht zum Töten anhält und seinerseits Gift und Galle spuckte, weil meine Mutter mich seiner Meinung nach zum Waschlappen erzöge.
Jedenfalls mußte er fortan selbst die heimische Tierwelt dezimieren, schleppte mich aber noch mit zur Jagd, wo ich mich wenigstens als Treiber nützlich machen sollte. Das hatte erst ein Ende, als ich Zeuge wurde, wie einer seiner Spießgesellen einem Hasen die Hinterläufe wegschoß, und er dem wie ein Kind schreienden Tier (und Hasen schreien LAUT!) mit meinem Treiberstock den Schädel einschlagen mußte, was erst nach drei-vier Hieben gelang.
Ich übergab mich in hohem Bogen, was mein Vater hochgradig blamabel fand.
Von da an durfte ich mit Stiefmutter und kleiner Halbschwester das Haus hüten, wenn er seinen Mords-Spaß hatte.

Meine Mutter blieb eine ganze Weile voll des gerechten Zorns - aber ein wenig gaben ihr die Vorwürfe schon zu denken: hatte sie früher meine Mädchenhaftigkeit niedlich gefunden (entschädigte sie ein wenig für die Tochter, die sie nie bekommen hat), meinte sie nun, ein wenig Sport und etwas männlichere Interessen könnten mir nicht schaden.
Was?? Sport?? Little Me?? Never! Voltegiert hätte ich gerne - das aber war teuer und damals noch mehr als heute ein ziemliches Mädchen-Ding... Oder Tanzen vielleicht? Als eine Sportlehrerin an der Schule eine Tanz-AG anbot, in der sie auch Ballet zu unterrichten versprach, war ich sofort Feuer und Flamme.
Neben mir ließ sich nur noch ein weiteres XY-chromosomales Zellhäuflein auf dieses Wagnis ein - und so hüpften wir mit einem Schwarm Mädchen um die Wette, was zwar furchtbar Spaß machte (und Brittalein war da doch tatsächlich mal richtig gut!), aber auch nicht eben dazu beitrug, mein Ansehen bei meinen Mitschülern zu stärken, die sich an den Turnhallenscheiben die Nasen plattdrückten und sich köstlich ammüsierten. "Sterbender Schwan" war einer der noch witzigeren Kosenamen, die mir die nur wenige Monate währende Eskapade eintrug.
Weil meine Eltern aber weiter quengelten, ging ich schließlich zu den Pfadfindern: Zelten, Feuer zu machen und darauf dann zu kochen, fand ich cool. Mädchen hatte es da auch und ich kam erstaunlich gut zurecht.

Gar nicht zurecht kam ich hingegen in der Schule: Was mich nicht interessierte, wurde hartnäckig ignoriert, was Lernaufwand erforderte, fiel mangels Zeit und Lust hinten runter - ich war vollauf mit meinen inneren Welten beschäftigt, oder damit, Mitschüler und Lehrer mit meiner sich ständig selbstnachschärfenden Zunge in den Wahnsinn zu treiben.
Bis zur Quarta wurstelte ich mich noch irgendwie so durch - in der Achten aber ging ich dann mit Pauken, Trompeten und vier wohlverdienten Fünfen glorios den Bach runter.

Hätte mir eine Lehre sein können, war es aber nicht: Als das Halbjahreszeugnis ähnlich katastrophal zu werden versprach und die Rückstufung in die Realschule drohte, schleppte mich meine Mutter, die sich langsam nicht mehr sicher war, ob sie da nun eine hoffnungslose Doofbratze oder bloß ein stinkfaules Stück aufzog, zu einem Kinderpsychologen, um meinen Geisteszustand überprüfen zu lassen.
Der Test dauerte drei Nachmittage, war lustig, und zeitigte ein Ergebnis, dass man mir erst verschweigen wollte, dann aber doch mitteilte: 35 über'm Durchschnitt, nur 17 vom alten Einstein entfernt und mithin mehr als genug, um sich zum Abi zu mogeln, wenn man nur wenigstens mit einem halben Ohr dem Unterricht zu folgen bereit wäre.
Stinkfaul, renitent und lernunwillig also.
Das Familiengericht tagte und verurteilte das Brittalein einstimmig zu einer zeitlich nicht begrenzten Haftstrafe in einem Internat an der Ostseeküste.
Der fiel in ihrer kindlichen Einfalt natürlich nix besseres als "Hanni und Nanni" ein, weshalb sie sich auf diese aufregende Veränderung geradezu freute.

Los gings mit zwei Koffern, Bettdecke, Kopfkissen und Kuscheltier(!) - raus aus dem Feuer, geradewegs in die Bratpfanne!
Das Internat erwies sich als Ansammlung schmuckloser Gebäude nebst Kapelle direkt an der Strandallee - das Zimmer, in das sie mich steckten, war fast militärisch karg möbliert und von fünf anderen 13 bis 15-jährigen Drop-Outs bewohnt, die mich mißtrauisch musterten. Gleich in der ersten Nacht konnte ich dreimal mein Bettzeug im Vorgarten aufsammeln gehen, das die Widerlinge aus eben dem Fenster geworfen hatten, aus dem wenige Wochen zuvor mein Vorgänger gesprungen war, weil er die fortgesetzten Quälereien nicht mehr ertragen mochte.
Ein Sprung aus dem ersten Stock reicht selten, um sich den Hals zu brechen - für einen Beinbruch langte es aber und erfüllte so seinen Zweck: Heimatschuß quasi.
Mädchen gab es zwar auch, die wurden aber im "Mädchenhaus" unter Verschluß gehalten, während man mich ins "Alte Jungenhaus" pferchte (es gab noch ein "Neues Jungenhaus", ein "Haus an der Timme" und die putzige Kapelle, in die man uns dreimal die Woche zur Andacht trieb).

Britta, das schlaue kleine Ding, merkte schnell, wie der Hase lief, nahm Abschied von Hanni-und-Nanni-Phantasien und Kuscheltier (Hallo?? Ich war 14! Da geht so was nun wirklich gar nicht mehr!) und beschloß, sich von den doofen Jungs nicht unterkriegen zu lassen.
Die wiederum schlugen sie in der ersten Zeit oft genug windelweich - bis sie merkten, dass sie sie zwar mühelos vermöbeln konnten, aber anschließend so hartnäckig, nachtragend und zunehmend skrupellos von ihrer Revolverschnauze unter Feuer genommen wurden, dass sie bald keiner mehr mit der Kneifzange angefaßt hätte.

Das häßliche Entlein mauserte sich, wurde indess nicht zum Schwan, sondern mutierte zum giftig schillernden Reptil, zur präventiven Giftspritze, die Angriff für die beste Verteidigung hielt, nicht länger Opfer sein wollte und lieber andere trat, als selbst getreten zu werden.

Der Schwan, der ich hätte werden wollen, starb - was gut war in mir mußte sterben, wenn ich leben wollte.

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