Freitag, 16. Dezember 2011

Fremde Tochter ...

Werte, Worte, Namen und der ganze Summs

Ich bin ein Kind der 70er. Das erwähnte ich bereits.
Traumatisches Jahrzehnt: während Bürgerkinder sich die Haare wachsen ließen, Hippies in Love-&-Peace-Geschwurbel (und diversen Drogen) versanken, strickte ich an meinem Image, trainierte meinen Außenmann, meinen Avatar wie in einem zu der Zeit noch gar nicht erfundenen Computer-Game.

Und ich kultivierte meine Ängste, für die ja mein internalisiertes Kellerkind, meine sorgsam behütete und verborgene wahre Identität, zuständig war.

Meine Mutter sagt heute, ich wäre "zu schlau" gewesen, als dass sie hätte merken können, wie mir wirklich ums Herz war.

Schlau. Verschlagen, füchsisch ...

Was sie mir wirklich damit sagen will: Belogen fühlt sie sich. Betrogen fast. Nicht ins Vertrauen gezogen, ausgeschlossen von ihrem einzigen Kind, ihrem kostbaren "Sohn", der, da er ein "Einzelstück" bleiben sollte, fortan alle Erwartungen, alle Sehnsüchte auf leider viel zu schmalen Schultern wuppen sollte.

Mein leiblicher Vater ahnte früh, dass mit seinem "Stammhalter" etwas nicht stimmte, dass es schwer werden würde, mit einem Wesen, das er als "weibisch" empfand, dessen zeitgemäß lange Haare und enge Jeans ihn zutiefst anwiderten, irgendwie vor seinen alten Kameraden zu punkten.
Er gab sich zwar redlich Mühe, aus diesem ... Ding ... mit Härte und Erbarmungslosigkeit doch noch so etwas wie einen ganzen Kerl zu formen, brachte mir den Umgang mit Waffen bei (was ich tatsächlich lustig und spannend fand), zwang mich zu Dauerläufen und Liegestützen.

Es half nichts. Ich wußte um die Erwartungen, ich spürte die Zwänge, versuchte verzweifelt, ihnen zu entsprechen - und konnte doch nicht wirklich aus meiner Haut.

Was ich mir sehnlichst gewünscht hätte.

Ich wäre sooo gerne ein Junge gewesen ... ganz normal ... wie all die anderen halt.
Sooo gern hätte ich die Hoffnungen meiner Eltern erfüllt.

Ging aber nicht.

Und auch wenn ich mich gelegentlich damit zu trösten versuche, dass die damaligen Zeiten für Geschöpfe wie mich eben einfach scheiße waren - andere haben es anders gemacht, haben sich durchgebissen, haben volles Risiko gespielt und damit kommenden Generationen den Weg freigeschlagen - ich aber hatte einfach nicht den Arsch in der Hose, habe gekniffen und meine Energie auf die Schaffung eines absurden Homunkulus verschwendet, den ich nötig zu haben glaubte, um überleben zu können.

Der entwickelte ein schon fast unheimliches Eigenleben, die mühsam einstudierten Muster sorgen heute noch dafür, dass ich aufpassen muss, NICHT aufzustehen, wenn jemand den Raum betritt und mich begrüßt, NICHT Frauen die Tür aufzuhalten oder ihnen den Vortritt zu lassen.
Ich muss mich kontrollieren, nicht nur meinen Kopf, sondern auch meine KopfSTIMME zu benutzen, um nicht mit unerwartetem Bariton (und da habe ich echt für geübt!) Aufsehen zu erregen.

Nichts auf dieser Welt ist umsonst. Alles hat seinen Preis.

Meine recht erfolgreiche Anpassung, die relative Bequemlichkeit, in der ich meine Leben leben konnte, ging auf Kosten der Wahrhaftigkeit, der Einheit von Sein und Bewußtsein und nicht zu letzt zu Lasten derer, die mich lieben.

Ihr ahnt schon: Bei aller Comming-Out-Besoffenheit, bei allem Staunen über eine Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten einen Wandel hingelegt hat, der seines Gleichen sucht, bei allem Glück, bei dem überwältigenden Gefühl, ENDLICH das Richtige zu tun, mir entsprechend zu leben ...
Licht bedingt Schatten.

Wo alles glatt lief, was ich stets für unmöglich gehalten habe, wo ich Türen einrannte, die mir mehr als willig sperrangelweit geöffnet wurden - da, wo ich es am wenigsten erwartet hätte, wird mir nun die Rechnung präsentiert: der Mensch, der mir nach meinem Kind am nächsten ... der Mensch, mit dem ich (fast!) alles habe teilen können, der mir Halt war und Trost, wenn ich dachte, dass es nicht weitergehen könne ...

Na - meine Mutter halt.

DER bin ich nun fremd.

Ihr Sohn ... ihr SOHN!
Ist weg.
Wie gestorben.
Wie tot.

Statt seiner ist da plötzlich diese fremde Frau.
Die Frau, die meine Mutter in den Arm nimmt, die Vertrautheit einfordert, die meine Mutter nicht mehr empfinden kann.
Die erwartet, dass die Mutter alle Fehler entschuldigt, alle Eskapaden.
Alles mitmacht.
"Ja" sagt, und "Amen!".
Weil es doch immer so war!

Und DIE stößt mich weg.

Nein - das tut sie natürlich nicht.

Aber sie bittet sich Distanz aus.
Sagt, dass ich gut aussehe. Stimmig, Mich meinem Alter und Typus entsprechend zu kleiden und zu benehmen weiß. Jünger, denn als "Mann" wirke.
Die geht mit mir essen. Und einkaufen.
Sie SCHÄMT sich meiner nicht. Warum auch? Wo ich doch so stimmig und so unauffällig bin.

Aber da ist diese Distanz.
Diese Unvertrautheit.

NICHTS ist, wie es war.
Totally different deck of cards (warum suche ich in solchen Situationen eigentlich so oft Zuflucht zu Anglizismen??).

Mir tut das weh. Es bricht mir schier das Herz.

Aber kann ich überhaupt ermessen, was das in meiner MAMI anrichtet??
In der Frau, die einen SOHN geboren, gestillt, den gewindelt, gefüttert und aufgezogen hat??
Und die plötzlich (nicht, dass sie es nicht hätte ahnen KÖNNEN - der Indizien waren mehr als genug!) mit dieser fremden Tochter . schlimmer noch: dieser fremden FRAU! - dasitzt??

Zeit wird es brauchen. Und Durchhaltevermögen. Auf beiden Seiten.


Worte.

Männlich.
Weiblich.
Sohn.
Tochter.

Das sind nicht nur Buchstaben. Das sind Welten!
Frauen und Männer sind nicht gleich.
GleichWERTIG vielleicht!
Da mag die Piraten-Partei noch so bemüht die "Post-Gender-Gesellschaft" postulieren.
NIE werden sich die Geschlechter über einen Kamm scheren lassen.

Warum auch??

Wir sind WIR! Männer, Frauen ... oder halt irgendwas dazwischen. Aber immer klar definiert! Und nichts und niemandem sollten wir das Recht einräumen, über uns zu richten, uns zu beschneiden!

Je eher wir uns dessen bewußt werden, je eher wir sagen, wie es IST - wie es sein (für uns sein!) MUSS! - desto  geringer die Irritation, der Kummer unserer Liebsten ... desto überschaubarer das eigene - meist unnütze! - Martyrium, die selbstgebastelte Hölle, durch die wir müssen!

O Karma. Darf ich noch mal?
Weiser werde ich sein. Und tapferer.  :-/



Ach du liebe Güte ... nun hätte ich beinahe die Werte vergessen.
Die inneren sogar!

Seit ich nämlich wieder brav auf dem Pfad der Tugend (i.e. Leistungskatalog der KK) wandele ... eine Therapeutin habe (die Krankenkasse besteht darauf!) ... auch einen Endokrinologen! ...
Seitdem ist mir schmerzlich bewußt, dass ich - entgegen meiner bislang vehement vertretenen Meinung - meinen Testosteronspiegel nicht lediglich mit Estradiol und Progesteron in Schach zu halten im Stande sein werde ...

Kurz: Mein neuer Endo also bestand darauf, mir Androcur zu verordnen.
Ein Medikament, dass ich bislang gescheut habe, wie der Teufel das Weihwasser.
Und - O Wunder! - mit lediglich 5 mg Cyproteron (laut Endo eine eher homöophatische Dosis) stürzten, wie die Laboranalyse belegt, meine Testo-Werte vom unteren männlichen Mittelfeld in einen Bereich, der sogar für "kongruente Frauen" ungewöhnlich niedrig ist ...

Wunder der modernen Pharmazie: halbe Körbchengröße mehr!
Mit immerhin 52!
Und ich flenne seither (nicht, dass ich nicht vorher schon eine furchtbare Heulsuse gewesen wäre), als ob es auf der Welt keinen Wassermangel gäbe ...

Hallooo?? Das sind doch mal Werte??


Oh - und die Namen?
Kürzlich nannte mich der beste aller Väter mal wieder "Jan-Peter" (die Macht der Gewohnheit halt) ...
Meine Tochter (incl. erhobenem Zeigefinger): "Die heißt BRITTA!"

Na also - geht doch! :)=)


Gute Nacht, Deutschland! ;-P



3 Kommentare:

  1. Ach liebe Britta... ich finds schon eigenartig, dass die Geschlechtszugehörigkeit, das ganze Gegendere offenbar nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Umgebung so einnordet, dass diese sich offenbar verraten fühlt, wenn man sie damit konfrontiert, dass sie einem Irrglauben zum Opfer gefallen sind. Vielleicht ist sie nur deshalb so angesäuert, weil sie gehofft hat, du erspartest ihr die Auseinandersetzung mit diesem Irrtum/diesem Wunsch, die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Da liegt bestimmt mehr im Dunkeln, als sich aus dem schlichten "Dich kenn ich (noch) nicht" so erschließt. Denn Beziehungen sind ja immer auch geheime Verabredungen über das, was Basis derselben ist. Wenn dann jemand diese Verabredung sozusagen kündigt, dann kann das Wut oder Angst oder andere, schwer erträgliche Gefühle auslösen.
    Und was das Androcur betrifft: Die halbe Körbchengröße ist aber schwer olala :-)
    Liebe Grüße und schönen Sonntag,

    DieLily

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  2. Oh Lily! :-)
    Ja - das "Gegendere" (und - schwups! - rein ins Wortschatzkästchen!) ist erschütternd allumfassend. Ich zerbreche mir ja nun schon seit kleinauf den Kopf darüber ...
    Und krieg mich gar nicht wieder ein, WIE anders es doch ist, wenn man dann WIRKLICH so ganz und gar auf der anderen Seite vom Zaum steht.
    Ich fühl mich immer noch, als wenn ich einen Schlaganfall erlitten hätte - selbst banalste Tätigkeiten und Umstände fühlen sich plötzlich an, als wenn es das allererstee Mal wäre!

    Und meine Mom kaut tatsächlich enorm darauf herum, wie sie so "versagen" konnte, und nichts merkte. Oder eben nichts merken WOLLTE, wie ICH ja immer noch mutmaße.
    Und richtig: die Verabredung war: "Du Mutter - ich Sohn!" - und ICH habe die einseitig gekündigt.
    Natürlch liebt sie mich immer noch. Aber sie ist komplett verunsichert, wie der "Komment" jetzt eigentlich geht. Vollkommen anderes Wertesystem offenbar. Wär vielleicht nicht so schlimm, wenn ich noch einen Bruder hätte. Frauen ihrer Generation definieren sich immer noch auch stark darüber, einen SOHN zu haben - tja. Der ist ja nun Geschichte.

    Eine sehr weise Freundin vermutet, dass meine Mutter sich bislang sehr viel darauf zugute hielt, einen ganz besonders emotionalen, kommunikativen, atypischen Sohn erzogen zu haben. Und der ist jetzt eben doch bloß eine ganz durchschnittliche, langweilige Tochter. :-/

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  3. Huhu Britta,
    wer weiß, wie oft sie dein "Anders-Sein" als emotionalem, kommunikativem und atypischem Sohn auch gegen deinen biologischen Vater verteidigt hat- und jetzt fragt sie sich, was ihr euch beiden an Stress hättet ersparen können. Denn auf dich als Tochter (wenn du das denn auch nach außen gewesen wärest) hätte er vielleicht komplett anders reagiert. Nicht zwangsläufig positiv, aber das Abhärten wär wohl zweitrangig gewesen. Und dann hätten deine Mutter und du gemeinsam einen uralten Weiberkampf ausfechten können...
    LG
    Lily

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